Full text: [Teil 2 = 2. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 2. Schuljahr, [Schülerband])

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C. Die Lahn. 
Die Lahn ist so recht der Fluß des Nassauer Landes, da mehr als die Hälfte 
ihres Laufes durch den Reg.-Bez. Wiesbaden führt und sie sich auch außer- 
halb desselben nirgends weit von seiner Grenze entfernt. Ihre Quelle be- 
findet sich auf dem unweit der Nordgrenze des Reg.-Bez. gelegenen Lahn- 
Hof. Als kleines Bächlein wandert die Lahn erst ein Stückchen in nordöst- 
licher Richtung, fließt dann nach O. bis Cölbe, hierauf nach S. bis Gießen, 
von da nach W. bis Löhnberg, wieder nach S. bis Aumenau und dann im 
allgemeinen nach W. bis zu der zwischen Ober- und Niederlahnstein 
gelegenen Mündung. Zahlreiche Bäche eilen ihr von den Höhen des Hinter- 
länder Berglandes, des Vogelsberges, des Westerwaldes und des Taunus 
zu, so daß sie schnell zu einem ansehnlichen Flüßchen heranwächst. Ihr viel- 
gewundener Lauf führt an vielen Dörfern, Gehöften und Mühlen und 
13 Städten vorüber. Je mehr sich die Lahn ihrer Mündung nähert, desto 
reicher wird ihr Tal an Naturschönheiten. Die hohen Uferberge treten mehr 
und mehr an den Fluß heran und lassen nicht einmal überall genug Raum 
für das Schienengeleise der Lahnbahn; kurze und längere Tunnel, hohe Dämme 
und Brücken wechseln in schneller Aufeinanderfolge. — Die in früherer Zeit 
sehr lebhafte Lahnschiffahrt hat seit Erbauung der Lahneisenbahn bedeutend 
abgenommen; nur noch selten begegnen dem Wanderer die großen Lahn- 
nachen, die aufwärts von Pferden gezogen werden. Ein kleines Stück der 
Lahn (Limburg-Dehrn) wird im Sommer regelmäßig von einem kleinen 
Personendampfer befahren. 
Infolge ihrer bedeutenden Tiefe, der Steilheit der Ufer und zahlreicher 
Strudel fällt der Lahn alljährlich manches Menschenleben zum Opfer. Daher 
die Sage: 
Die Lahn hat gerufen. 
Am felsigen Hange im Lahntal dranß 
klein Völklein pflückt Blumen und Beeren. 
Die süßesten Beeren, der schönste Strauß 
lieb Häuschen, dem kleinen, gehören. 
Da plötzlich dringt aus dem Schilf hervor 
ein klagendes Rufen und Locken. 
Die Kinder, sie find ganz Auge und Ohr, 
bleich stehen sie da und erschrocken. 
Und zitternd ruft eines dem anderen zu: 
„Die Lahn, die Lahn hat gerufen!" 
Dann flüchten die kleinen Gesellen im Nu 
steil aufwärts die felsigen Stufen. 
Klein Hänschens Beine, sie wollen nicht mehr; 
die andern nicht rasteten, ruhten. 
„£>, haltet ein, o lauft nicht so sehr — 
ich falle —", da stürzt's in die Fluten. 
Starr stehen die Kinder am felsigen Rand, 
scheu klettern sie nieder die Stufen. 
Tot Hanschen, den Beerenstrauß fest in der Hand, 
treibt abwärts. — Die Lahn hat gerufen! 
Rudolf Dietz.
	        
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