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Bergmann zwei kleine Stangen von einem unbekannten Erz, welche er aus
der Kapelle mitgebracht hatte und welche seine Urenkel noch jetzt zum An—
denken aufbewahren.
101. Der Pflaumenbaum.
Heinrich Bone. Deutsches Lesebuch. Köln. 1872. S. 26
Dicht an der Hinterthür unseres Hauses steht ein Pflaumenbaum.
Der jüngste Bruder meiner Mutter hatte ihn von seinem Lehrer zum Geschenl
erhalten. Er pflanzte und pflegte ihn mit der größten Sorgfalt. Nun hat
er schon viele Jahre hindurch die köstlichsten Früchte getragen und groß und
klein damit erfreut. Die Pflaumen sind gelblich rot und haben die Größe eines
mittelmäßigen Hühnereies, ihr Geschmack ist süß und saftig. Mein Vater
sagte oft: „Ich habe viele Reisen gemacht, aber edlere Pflaumen habe ich
noch nicht gefunden.“ In jedem Frühling ist der Baum voll von Blüten,
dann sieht man kein grünes Blättchen an ihm, sein Kleid ist wie der Reif
des Winters. Aber bald hängt alles voll von jungen Pfläumchen; wohl
Hunderte fallen ab, und doch ist im Herbste die Menge der reifen Früchte
fast übergroß. Dann hängen die Zweige tief herab und müssen gestützt
werden, sonst würden sie brechen. Welch einen Anblick geben diese reifen
Pflaumen! Sie leuchten wie Sterne aus dem dunkeln Grün der Blätter
hervor, und an einigen Stellen sind die Zweige wie große Weintrauben,
so dicht hangen die Früchte übereinander. Mehrere ANte haben wir schon
abhauen müssen; denn sie waren krank geworden von der großen Fruchtbarkeit
und Last. Dagegen sind in der Spitze des Baumes wieder viele neue
Zweige herangewachsen; auch sie tragen schon Früchte. Ein Ast hat sich
nach der Seite bis vor das Fenster unserer Wohnstube gezogen; er wirft
im Sommer die beweglichen Schatten der Blätter und der kleineren Zweige
auf den Boden des Zimmers, und im Herbste schlagen oft die glänzenden
Pflaumen an die Scheiben des Fensters. Dann steige ich wohl auf die
Fensterbank und hole mir einen von den anklopfenden Gästen herein. Auch
vom oberen Stocke aus kann ich die Pflaumen abpflücken; denn die Spitze
des Baumes ragt bis an die Fenster meines Schlafzimmers. Die unteren
Mte sind nicht sehr hoch von der Erde, ich kann bequem hinansteigen. Und
das thue ich oft, besonders im Herbst; dann sitze ich zwischen den laubigen
Zweigen ganz verborgen und suche die reifsten Früchte heraus. Unter den
herabhängenden Nten habe ich an dem Stamme des Baumes einen kleinen
Rasensitz gemacht, da ist es im Sommer schattig und kühl; manches Stündchen
verbringe ich dort mit meinen Büchern. Meine Mutter ist indes in der
Küche beschäftigt und kann durch die geöffnete Oberthür mit mir sprechen.
Im Herbste fälll mir zuweilen eine reife Pflaume auf das geöffnete Buch
und erschreckt mich mit süßer Überraschung.