Full text: [Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband])

— 148 — 
Laubgängen flogen prächtig gefiederte Vögel umher und führten 
Singvögel aller Art ein Konzert auf. In dem Obstgarten, der sich 
daran schloß, standen die Bäume in langen Reihen so voll von 
Früchten, daß die Zweige unter ihrer Last zu brechen drohten. Auch 
die Gemüsegärten standen in Flor, auf den Feldern wuchs üppiges 
Getreide, und auf den Wiesen weideten große Herden Vieh. 
„Du kannst dies alles nun künftig genau besehen und nehmen, 
was du willst; denn es ist alles unser, und du bist jetzt unser lieber 
Bruder,“ sprachen die holden Mädchen mit freundlichem Lächeln. 
Und Niklas ließ es sich bei ihnen wohl sein, auch das Mahl schmeckte 
ihm vortrefflich; doch vergaß er nicht vorher und nachher die Hände 
zu falten und andächtig zu beten. Als Niklas am folgenden Morgen 
in dem kostbaren Schlafzimmer, das ihm die Mädchen angewiesen 
hatten, erwachte, waren seine alten Hirtenkleider verschwunden und 
schönere an ihre Stelle gelegt, die anzulegen er sich nicht lange be— 
dachte. Bald kamen seine Gespielinnen, und die Zeit verstrich im 
Fluge. Wochen und Monate entschwanden, ohne daß er's merkte 
und nach sieben Jahren war aus dem kleinen Niklas ein großer 
stattlicher Jüngling geworden, dem das blonde Haar in herrlichen 
Locken auf die Schultern fiel. Seine drei Gespielinnen aber blieben 
so jung, so klein, so kindlich, wie sie gewesen waren, als er sie zum 
erstenmal gesehen hatte; sie schienen sich gar nicht zu verändern. 
Das war ihm auffallend. Je mehr er nun darüber grübelte, desto 
mehr trat ihm seine eigene Lage vor die Augen, und obwohl es ihm 
nicht an Beschäftigung im Garten und mit schönen Büchern fehlte 
und er herrlich und in Freuden lebte, so schien ihm doch sein Zu— 
stand sonderbar. Er dachte an sein Dörfchen, seine Pflegeeltern, die 
Gespielen seiner Jugend, und eine unwiderstehliche Sehnsucht setzte 
sich in seinem Herzen fest. Wohl erinnerte er sich des Ausspruchs 
der Mädchen: „Wenn du drei Tage bei uns verweilst, so kannst du 
nie zurückkehren;“ wohl wußte er, daß er frei gewählt habe, daß 
seine Schwestern ihn herzlich liebten, und suchte seinen Kummer zu 
verbergen; doch wenn er allein war, konnte er sich nicht enthalten, 
bitterlich zu weinen. Die Spuren seines Kummers zeigten sich 
immer mehr. Seine Wangen wurden bleich, der trübe Blick deutete 
den Sturm im Innern an. Bedenklich richteten seine Freundinnen 
ihre Blicke auf Nikals und fragten, was ihm fehle; aber immer ver— 
schwieg er, um seine Gespielinnen nicht zu betrüben, den wahren 
Grund und legte sich Zwang an, heiter zu sein. Einst aber, als er 
allein zu sein glaubte und in seinen wehmütigen Gefühlen laut auf—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.