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so schnell darnach. So ließ der Vater ihn nach und nach
alle Kirschen aufheben.
Als Thomas die letzte verzehrt hatte, wandte der Vater
sich lächelnd um und sprach: „Sieh', wenn du dich um das
Hufeisen ein einziges Mal hättest bücken mögen, so hättest
du dich um die Kirschen nicht so vielmals bücken müssen.
Erkenne daraus, wie gut und wahr das alte Sprüchlein sei:
Wer kleine Ding' nicht achten mag,
hat oft um klein're Müh' und Plag'.“
44. St. Vitus.
St. Vitus war ein frommer Knabe, hatte Gott lieb
und trug Jesum Christum in seinem Herzen. Da ließ
ihn der Heidenkaiser vor seinen Thron führen und sprach zu
ihm: „Mein Kind, siehe, ich gebe dir Gold und Perlen
und schöne Kleider und alles, was immer dein Herz begehrt;
nur laß von deinem Glauben und lästere Jesum Christum!“
Und St. Vitus antwortete und sprach: „Jesus Christus,
mein Herr und Heiland, ist für mich am Kreuze gestorben,
nimmer werde ich ihn lästern; ich bete ihn an von Herzen.“
Wiederum sagte der Kaiser: „Thust du nicht nach meinen
Worten, so lasse ich siedend machen einen Kessel mit Ol
und dich in den Kessel werfen. Wähle zwischen Lust und
Qual, zwischen Leben und Tod“. Der Knabe aber sprach
starken Gemütes: „Gern dulde ich für Jesus Christus Qual
und Pein und bittern Tod“. Da ließ der Kaiser einen
Kessel füllen mit Ol und Feuer darunter anfachen. Und
wie das Ol wallte und brodelte, sprach er zu den Hen—
kersknechten: „Zieht dem Knaben die Kleider aus und werft
ihn in den Kessel“. Die thaten es, und St. Vitus litt es
geduldig, und da er in dem siedenden Ol stand, hob er
seine Augen und Hände zum Himmel empor und betete:
„Herr Jesu Christe, nimm auf meinen Geist!“ Und die
lieben Engel kamen vom Himmel, thaten auf sein Haupt
eine schöne Krone, gaben ihm in die Hand einen Palm—
zweig und führten ihn vor den Thron Jesu Christi. Jesus
Christus aber sah den Knaben an, lächelte süß und sprach: