Full text: Norddeutsches Lesebuch

197. Bonifacius, der Apostel der Deutschen. 
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Völkern kam es auch wohl vor, daß der gefallene Häuptling in die Höhlung 
des Schiffes an den Mast gelegt ward; dann häufte man um ihn Beute und 
Waffen, schlug sein Banner an den Mast, hißte alle Segel auf und sandte den 
Toten mit günstigem Fahrwind in die hohe See. 
3. Dieselbe gemütvolle Pflichttreue, dieselbe Innigkeit der Hingebung 
bewährten die Deutschen in der Ehe. Mann und Weib verbanden sich darin 
für das ganze Leben, um einander lieb zu sein über alles auf Erden und alles 
miteinander zu teilen. So lebte das Ehepaar in unantastbarer Keuschheit; 
Ehebruch war fast unerhört; wenn aber dennoch einmal dies Verbrechen vor⸗ 
kam, so war Tod die Strafe. Auch für verlorene Unschuld gab es keine Ver— 
zeihung; nicht Schönheit, nicht Jugend, nicht Reichtum vermochte einem gefal⸗ 
lenen Mädchen einen Mann zuzuführen. Sich nach dem Tode des Mannes 
wieder zu vermählen brachte der Frau Unehre, bei manchen Stämmen war es 
verboten. Nicht selten begleitete das Weib den Gemahl sogar in die Schlacht, 
um ihn zu wilderer Tapferkeit zu befeuern seiner Wunden zu pflegen und den 
Gefallenen zu bestatten und vielleicht zu rächen. 
Ebdle Sitte bewiesen sie auch in der Ausübung der Gastfreundschaft. Den 
Fremden beherbergte man, ohne ihn erst auszufragen, wer er sei und woher er 
kommen So lange er im Hause war, durfte niemand ihn beleidigen, im Not⸗— 
falle war es des Wirtes Pflicht, ihn auf Tod und Leben zu beschützen. 
4. Daß ein so kräftiges und sittenreines Volk den bei aller Geistesbildung 
doch sittlich verdorbenen Römern gefährlich und furchtbar ward, ist begreiflich. 
Schon im Jahre 113 vor Christi Geburt erschienen die deutschen Stämme der 
Cisnbern und Teutonen, die der Sage nach durch eine Überschwemmung aus 
ihren Wohnsitzen im heutigen Schleswig⸗Holstein und Jütland vertrieben waren, 
am Fuße der Alpen und begehrten Wohnsitze von den Römern; sie schlugen 
viele der ihnen entgegengesandten Heere, aber endlich unterlagen sie der List 
und Kriegskunst ihrer Feinde und wurden völlig aufgerieben. Später drangen 
die Romer über den Rhein hinüber in das nordwestliche Deutschland ein und 
setzten sich hier mehr und mehr fest; als sie aber auch ihre Art Recht zu 
sprechen den Deutschen aufdrängen wollten und sie mit Übermut behandelten, 
erhob sich unter Anführung des Cheruskerfürsten Arminius ein mächtiger 
Aufstand, und im Teutoburger Walde wurden die Legionen des Statt— 
halters Varus völlig vernichtet, 9 nach Christi Geburt. Von dieser Zeit an 
erfolgten noch viele Kämpfe zwischen Römern und Deutschen, aber diese letzteren 
behaupteten immer mehr die Oberhand; wobei denn freilich eine traurige Folge 
ihres trotzigen Freiheitssinnes die war, daß, wenn der Krieg mit den Römern 
ruhte, sie untereinander sich unablässig befehdeten. Wach G. Freytag.) 
197. Bonifacius, der Apostel der Deutschen. 
De Goten und andere deutsche Stämme, welche durch ihre Wanderungen 
frühzeitig mit den Römern in Berührung kamen, waren dadurch bald 
zum Christentuin bekehrt worden, aber die Bewohner des eigentlichen Deutsch— 
lands verharrten noch im achten Jahrhundert bei ihrem heidnischen Glauben. 
Freilich war Chlodwig, der König der am Niederrhein wohnenden Franken, 
Norddeutsches Lesebuch. 
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