Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

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Schlosse, und als man die Königstochter aufwecken wollte, war auch 
sie verschwunden. Ohne sich lange zu besinnen, bestieg der Bräutigam 
das erste beste Pferd und jagte über Stock und Block. Ein großer 
Spürhund witterte den Weg, den die Verliebten genommen hatten; 
nahe am Harzwalde holte der Riese sie ein. Da hatte aber auch die 
Jungfrau den Verfolger erblickt, wandte den Rappen flugs und sprengte 
waldein, bis der Abgrund, in dem die Bode fließt, ihren Weg durch⸗ 
schnitt. Angstvoll blickte Emma in die Tiefe, denn mehr als tausend 
Fuß ging senkrecht die Felsenmauer hinab. Tief unten rauschte der 
Strom und kreiste in furchtbaren Wirbeln. Der entgegenstehende Fels 
schien noch entfernter und kaum Raum zu haben für einen Vorderfuß 
des Rosses. Der Rappe stutzt einen Augenblick, da stößt sie ihm mutig 
die ellenlangen Sporen in die Seite. Und das Roß sprang über den 
Abgrund glücklich auf die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß 
tief in das harte Gestein, daß die Funken stoben. — Das ist die Roß⸗ 
trappe. Die Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen 
kann sie ganz verwischen. — Emma war gerettet, aber die zentner— 
schwere Königskrone fiel während des Sprunges von ihrem Haupte in 
die Tiefe. Bodo, in blinder Hitze nachsetzend, stürzte wegen seiner 
Schwere in den Strudel und gab dem Flusse den Namen. Im Kessel 
der Bode liegt die Krone noch heutzutage, von einem großen Hunde 
mit glühenden Augen bewacht. Schwimmer, die der Gewinn geblendet 
hatte, haben sie mit eigner Lebensgefahr aus der Tiefe zu holen ge— 
sucht, aber bei der Rückkehr ausgesagt, daß es vergebens sei; der große 
Hund sinke immer tiefer, sobald sie ihm nahe kämen, und die goldene 
Krone sei nicht mehr zu erlangen. Bruder Grimm. 
109. Der Rabe zu Merseburg. 
Auf dem Schloßhofe zu Merseburg steht ein mächtig großes 
Vogelhaus; darin wird zufolge alter Stiftung ein Rabe unterhalten, 
zu dessen Fütterung in der Rentamtsrechnung ein Gewisses an Gerste 
verschrieben wird. Diese Stiftung hat folgende Veranlassung. 
Dem Bischof von Merseburg, Thilo von Trotha, war ein kost— 
barer Ring, den er sehr wert hielt, abhanden gekommen. Der Ver— 
dacht der Entwendung lenkte sich sogleich auf einen seiner Diener; 
alle Umstände schienen ihn schuldig zu sprechen; kein anderer Mensch 
konnte der Täter sein. Der Beschuldigte leugnete zwar anfangs die 
Tat hartnäckig, aber die Folter brachte ihn zum Geständnis, worauf 
der Bischof sofort seine Hinrichtung befahl. Einige Zeit darauf sollte 
an einem der Schloßturme das Dach ausgebessert werden; da fanden
	        
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