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1. Der Lahme hängt mit seinen Krücken
Sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar,
Was einzeln keinem möglich war.
120. Der Meinberg.
Ohristoph von sSehmid, Gesammelte Sehriften. 16. Band. 2. Ausl. Augsburg, 1861.
Ein Vater sagte auf seinem Sterbebette zu seinen drei
Söhnen: „Liebe RKinder! Ioh kann euch nichts zurücblamon
als diess unsero Hütte und den Weinberg daran, in dem aber
ein Schatz verborgen liegt. Grabt fleissig in dom Weinberg,
so werdet ihr den Schatz finden.“
Nach dem Tode des Vaters gruben die Söhne den ganzen
Weinberg mit dem grössten Pleisse um, fanden aber wode
Gold noeh Silber. Dagegen brachte der Weinberg, weil sie
ihn so fleissig bearbeitet hatten, eine viel grössere Menge von
Trauben hervor als sonst, und sie lösten dafür noch einmal so
viel Geld.
Da fiel den Söhnen ein, was ihr seliger Vater mit dem
Sehatze gemeint habe, und sie sohrieben an äie Thüro des Mein-
bergs mit grossen Buchstaben:
Die rechte Goldgrub' ist der Fleiss —
VFür den, der ihn zu üben weils.
121. Das Trüulein Luft und Junker Duft.
Friedrich Rüsckert. Gesammelte Gedichte. 4. Bd 2. Aufl. Erlangen, 1886.
Es fam das zarte Fräulein Luft
Vom Himmel her entstiegen
Und sah in Blumenwiegen
Den zarten Knaben liegen,
Den zarten Knaben Duft.
2. Da rief das zarte Fräulein Luft
Und ließ sein Stimmlein fliegen:
„Zu dir komm ich gestiegen,
Wie lange willst du liegen
In deiner stummen Gruft?“
3. Da sprach der zarte Knabe Duft,
Der bis daher geschwiegen,