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gebracht Ein Aufseher schreitet an uns vorüber, uns zählend und ver—
dächtig musternd, als ob wir mit unsern verstümmelten Beinen fortzu—
laufen im Stande wären. Der Sicherheit wegen werden wir auf
einen langen Leiterwagen geladen und in ein dunkles und dumpfes
Gefängniß gebracht, worin wir die Grausamkeit der Menschen in der
furchtbarsten Weise kennen lernen, denn auf einer harten Tenne schlägt
man mit dicken Prügeln auf unsere Köpfe, daß auch nichl ein Körnchen
darin bleibt.
Nachdem unsere zerschlagenen Leiber in Bündel zusammengeschnürt
sind, lücheln uns, falls die Umstände günstig sind, wieder bessere Tage,
denn entweder werden aus uns die schönsten Hüte oder Körbchen
geflochten, oder man verarbeitet uns zu Papier, was freilich die größte
Ehre für uns sein muß, da gelehrte Leute die nützlichsten und ange—
nehmsten Unterhaltungen auf uns schreiben. Wenn uns jedoch der
Glücksstern nicht mehr scheinen will, dann werden wir theils zum Decken
der Bauernhütten benutzt und haben bis an unser Ende unaufhörlich
mit Regen und Sturm, Schnee und Sonnenhitze zu kämpfen, theils
werden wir auf einer mit einem breiten Messer versehenen Maschine in
kleine Stücke geschnitten und als Häckerling von verschiedenen vierfüßigen
Hausthieren verspeist.
Meinen Körnern geht es nicht besser. Zwischen harten Steinen in
der Mühle zu feinem Mehl zerrieben, werden sie dann vom Bäcker zu
Brot verbacken. Mein Onkel, der vornehme Weizen, wird doch wenig—
stens zu Kuchen und Torten verbraucht und hat also die Ehre, die
Tafel der Reichen zu zieren. Aber was soll ich erst sagen zu dem
Schicksal der Tante Gerste, die zu bitterm Biere gekocht wird, — oder
zu dem Lebensende des Neffen Hafer, der gar nur Pferden und Gänsen
als Futter dient?
O, es ist gewiß ein trauriges Geschick, ein Getreidekorn zu sein!
Pfalt. Schulmann.
71. Die Bettlerin.
Zur Zeit der Theuerung ging eine unbekannte Bettlerin,
die sebr ärmlieh, jedoch sehr reinlieh gekleidet war, in dem
Dorfe herum und flehte um Almosen.
Bei einigen Häusern wurde sie mit rauben Worten ab—
gewiesen. Bei andern bekam sie eine sehr geringe Gabe. Nur