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Schiffer, der ein fleißiger und braver Mann war, wollte es trotz
der angestrengtesten Arbeit nicht gelingen daß er die notwendigsten
Bedürfnisse seiner zahlteichen Familie durch seinen Ver—
dienst befriedigte. Da er deswegen in Schuͤlden geraten
war, so begab er sich, indem er auf die Unterstützung edler
Menschenfreunde baute, zu einem wohlhabenden Kaufmann und
ersuchte denselben, daß er ihm auf ein Jahr hundert Gulden
leihen möchte. „Ich wage diese Bille,“ setzte er hinzu, ,ohne daß ich
ein Unterpfand bieten kann; aber meine Redlichkeit wird dem
Darlehen eine größere Sicherheit verschaffen, als in Pfand Sicher⸗
heit vberschafft.“ Da der Kaufmann von dem guten Willen
des armen Schiffers überzeugt war, so gab er ihm gerne, ohne
daß er eine Handschrift verlaugte, die gewünschte Sͤmme. Ein
Jahr und ein weiteres Jahr wartete der Kaufmann, ohne daß er von
dem Schiffer eine Nachricht er hielt. Bereits gab er die Hoffnung
auf, daß er denselben jemals wiedersehen und sein Geld
zurückerhalten werde, und bereute es, daß er einem ündant
baren eine Wohltat erzeigt habe. „Mein Verlrauen auf diesen
Mann,“ sprach er oft zu sich selbst, indem er des Schiffers Un—
dankbarkeit beklagte, „ist großer gewesen, als seine Redlichkeit
v esen ist.“ Eines Tages sah der Kaufmann zu seinem großten
rstaunen, wie der iln mi fröhlichem Gesichte in den
Laden hereintrat. „Ich bedaure von Herzen,“ hub er an, „daß ich
Euch jetzt erst meine Schuld bezahlen kann; aber ich freue mich,
daß ich jetzt schuldenfrei bin, und daß ich noch zweihundert
Gulden mit Eurem Gelde gewonnen habe Ich ville Euch, daß
Ihr die Summe, die Ihr mir geliehen habt, von kinem
dankbaren Manne annehnet.“ — Ich einmere mich nicht, daß ich
Euch Geld geliehen habe,“ erwidene der Kaufmann, indem er
borgab, daß er nichts von dem Darlehen wisse. Der Schiffer,
welcher im höchsten Grade betrübt war, daß sein Wohltäter die
Annahme des Geldes verweigerte, eine nach Haus, damit er sein
anzes Vermögen, welches aus zweihnndent Guden bestand,
3 Als er mit dem Gelde zu dem Kaufmann zurückgekehrt
war, sprach er, indem er ihm alles zu Füßen legte: „Nehmet, hier
sind dreihundert Gulden, und lasset mir die Freude, daß ich mich
dankbar erweisen darf.“ Der Kaufmann, da er von ve Red—
lichkeit des Mannes gerührt war, ließ sich durch keine Billen be—
wegen daß er das Geringste annahm. Sogar die hundert Gulden,
welche sein rechtmäßiges Eigentum waren, schentteer den Kindern
des ehrlichen Schiffers.