Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

97 — 
Schiffer, der ein fleißiger und braver Mann war, wollte es trotz 
der angestrengtesten Arbeit nicht gelingen daß er die notwendigsten 
Bedürfnisse seiner zahlteichen Familie durch seinen Ver— 
dienst befriedigte. Da er deswegen in Schuͤlden geraten 
war, so begab er sich, indem er auf die Unterstützung edler 
Menschenfreunde baute, zu einem wohlhabenden Kaufmann und 
ersuchte denselben, daß er ihm auf ein Jahr hundert Gulden 
leihen möchte. „Ich wage diese Bille,“ setzte er hinzu, ,ohne daß ich 
ein Unterpfand bieten kann; aber meine Redlichkeit wird dem 
Darlehen eine größere Sicherheit verschaffen, als in Pfand Sicher⸗ 
heit vberschafft.“ Da der Kaufmann von dem guten Willen 
des armen Schiffers überzeugt war, so gab er ihm gerne, ohne 
daß er eine Handschrift verlaugte, die gewünschte Sͤmme. Ein 
Jahr und ein weiteres Jahr wartete der Kaufmann, ohne daß er von 
dem Schiffer eine Nachricht er hielt. Bereits gab er die Hoffnung 
auf, daß er denselben jemals wiedersehen und sein Geld 
zurückerhalten werde, und bereute es, daß er einem ündant 
baren eine Wohltat erzeigt habe. „Mein Verlrauen auf diesen 
Mann,“ sprach er oft zu sich selbst, indem er des Schiffers Un— 
dankbarkeit beklagte, „ist großer gewesen, als seine Redlichkeit 
v esen ist.“ Eines Tages sah der Kaufmann zu seinem großten 
rstaunen, wie der iln mi fröhlichem Gesichte in den 
Laden hereintrat. „Ich bedaure von Herzen,“ hub er an, „daß ich 
Euch jetzt erst meine Schuld bezahlen kann; aber ich freue mich, 
daß ich jetzt schuldenfrei bin, und daß ich noch zweihundert 
Gulden mit Eurem Gelde gewonnen habe Ich ville Euch, daß 
Ihr die Summe, die Ihr mir geliehen habt, von kinem 
dankbaren Manne annehnet.“ — Ich einmere mich nicht, daß ich 
Euch Geld geliehen habe,“ erwidene der Kaufmann, indem er 
borgab, daß er nichts von dem Darlehen wisse. Der Schiffer, 
welcher im höchsten Grade betrübt war, daß sein Wohltäter die 
Annahme des Geldes verweigerte, eine nach Haus, damit er sein 
anzes Vermögen, welches aus zweihnndent Guden bestand, 
3 Als er mit dem Gelde zu dem Kaufmann zurückgekehrt 
war, sprach er, indem er ihm alles zu Füßen legte: „Nehmet, hier 
sind dreihundert Gulden, und lasset mir die Freude, daß ich mich 
dankbar erweisen darf.“ Der Kaufmann, da er von ve Red— 
lichkeit des Mannes gerührt war, ließ sich durch keine Billen be— 
wegen daß er das Geringste annahm. Sogar die hundert Gulden, 
welche sein rechtmäßiges Eigentum waren, schentteer den Kindern 
des ehrlichen Schiffers.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.