18 Kap. 5. § 19. Das Zendvolk. (Zoroaster. Dsjemschid. Kasten.)
und Persern unterjocht; doch gelang es seiner Priesterkaste, die in seinen
Religionsbüchern niedergelegte Religions- und Rechtsverfassung auf die ihnen
stammverwandten Sieger zu übertragen, von welchen dann die Kenntnis der¬
selben auf uns gekommen ist.
Die Sammlung dieser Religionsbücher, von der wir Bruchstücke besitzen,
heißt der Avesta,' d. i. göttliches Wort, und die Sprache, in der sie
geschrieben sind, Zend: daher jene Schriftensammlung auch Zendavesta,
das ostiranische Volk selbst aber auch Zendvolk genannt wird.
Der Zendavesta enthält die Religions-, Sitten- und Rechtslehren des
weisen Zoroaster oder Zarathustra, der die Lehren eines früher in diesem
Volke aufgetretenen Religionsstifters (Haoma), den man als ein göttliches
Wesen verehrte, reformirte und weiter ausbildete. Wann Zoroaster gelebt
habe, läßt sich nicht genau bestimmen, jedenfalls aber vor der Zeit, da
sein Volk von den Assyrern bezwungen wurde (etwa 1000 v. Chr.).
Rach der in Liesen Schriftresten enthaltenen Angabe hat das Volk in der ältesten
Zeit Airjäs (die Würdigen) geheißen und ist als Nomadenvolk aus seinem Urlande
Airjana Vaedscha, dem obenbezeichneten asiatischen Hochlande ausgewandert, um ein
milderes Klima zu suchen, weil das ursprüngliche anmutige sich in ein winterlich-rauhes
verändert hatte. Auf ihren langen Wanderungen gründeten die Arier nach einander
verschiedene Niederlassungen, die aber immer ein Teil von ihnen, bald durch ein phy¬
sisches, bald durch ein sittliches Uebel genötigt, wieder verließ. Aus diesen Aufenthalts¬
orten entstanden die Städte Qughda (Soghd, das spätere Samarkand), Bakhdi (Balkh,
Bactra), Haroju (Herat), Rhaga (Rhagä), Varene (vielleicht Kabul) u. a. Endlich
kam ein Teil des Volks unter seinem Führer Dsjemschid (verderbt aus Jima-kschaeta)
in den Niederungen des Oxus zu festem Sitze, während die anderen Stämme dieses
Volkes in den Gebirgen und Steppen jener Länder ihr Nomadenleben fortsetzten (wie
z. B. der Urstamm der Perser und Meder: s. § 57).
(19.) Hier nun, inveinem durch Wüsten und Gebirge begrenzten frucht¬
baren Lande mit ewig heiterem Himmel, an welchem die Gestirne den
hellsten Glanz haben, bildete sich ein in vier Kasten geteilter Priester-
staat, der von den Nachkommen seines ersten Führers Dsjemschid,
welcher König und Oberpriester zugleich war, regiert wurde, und späterhin
durch den Streit seiner beiden Urenkel Tur und Jret in zwei Reiche, Tu¬
ran und Iran, zerfiel, deren Grenzscheide der Dsjihun war.
In dem Reiche Iran, südlich vom Dsjihun, kam späterhin die Dynastie der Kea-
nier auf, unter deren fünftem Könige Gustasps (Vistaspa) der Oberpriester Zoro¬
aster lebte. (Bis auf diese Zeit gehen die historischen Nachrichten der Zendschriften:
die weiteren Nachrichten von diesem Volke finden sich in den griechischen Schriftstellern.)
Nach der Vendidad, dem allein noch vorhandenen zwanzigsten Buche
des Zendavesta, hatte das Priesterreich des Zendvolks vier Kasten, nämlich
die der Priester, der Krieger, der Ackerbauer und der Gewerb-
leute (zu welchen letztem auch die Kaufleute und Zolleinnehmer gerechnet
wurden). Die drei ersteren Stände, als die angesehensten, hatten Standes-
oberhäupter. Der König sowohl als auch alle Richter und Beamte
waren aus dem Priesterstande. Jedes bürgerliche Gesetz erscheint als Aus¬
spruch des göttlichen Willens und jede Strafe ist Gottesgericht.
Die von Zoroaster reformirte Religionslehre ruht auf dem Grundsätze des
Dualismus, nach welchem sich die ganze geistige Welt in zwei Reiche teilt, in ein
Reich des Lichts oder der guten Geister (Amschaspands), an deren Spitze Ormuzd
(eig. Aura-MaM, der hochweise Gebieter), und in ein Reich der Finsternis oder
der bösen Geister (Dews), an deren Spitze Ahriman (eig. Anghro-mainjus d. i. der
Arggesinnte) als Urquell aller zerstörenden Gewalten in der Natur, steht. Beide wer-