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steht, und klagte dem reichen Nachbar meine Armut. „Ach,“ sagte ich,
„ich würde sehr zufrieden sein, wenn ich mein Vermögen nur auf hundert
Thaler bringen könnte!“
Der Nachbar, der ein kluger Mann war, sagte: „Das kannst du
leicht, wenn du es nur recht anfängst. Sieh, hier aäuf dem Plätzchen, wo
du stehst, stecken mehr als hundert Thaler in dem Boden. Mache nur,
daß du sie herausbringst.“ Ich war damals noch ein unverftändiger,
junger Mensch und gruͤb in der folgenden Nacht auf der Stelle lief in
die Erde hinein, fand aber zu meinem Verdruß keinen einzigen Thaler.
Als der Nachbar am andern Morgen das Loch sah, lachte er, daß er
sich beide Seiten hielt, und sagte: O du einfältiger Mensch, so war das
nicht gemeint! Ich will dir aäber ein veredeltes Birnbäumchen schenken,
das setze in die Grube, die du gemacht hast, und nach einigen Jahren
werden die Thaler schon zum Vorschein kommen.“
Ich setzte den jungen Baum in die Erde; er wuchs und wurde der
große, herrliche Baum, den ihr hier sehet. Die köstlichen Früchte, welche
er nun seit vielen Jahren geträgen, brachten mir schon weit mehr als
hundert Thaler ein. Ich habe deshalb das Sprüchlein des klugen Nachbars
nicht vergessen. Merkt es euch auch:
Im kleinsten Raum pflanz einen Baum
und pflege sein! Er bringt dir's ein! Chr. Schmid
206. Waldlust.
Ich möchte ein Jäger sein, durchstreifen Feld und Hain, möchte der
Vögel Ruf verstehen, möchte hören der Winde Wehen, wenn die Tannen
b darein! Ich möchte ein Jäger sein!
2. Ich möchte ein Jäger sein! Frühmorgens beim ersten Schein wär'
ich im Walde schon wieder und hörte der Vögel Lieder und hörte den
Kuckuck schrein. Ich möchte ein Jäger sein!
3. Ich möchte ein Jäger sein! Im Mondschein ständ' ich allein am
Waldweg; jetzt kommt es gegangen, das Reh; mit freudigem Bangen
nähm' ich die Büchse und — nein! Ich möchte kein Jäger sein!
Theob. Kerner.
207. Sprichwörter.
An Gottes Segen ist alles gelegen. Mit Gott fang an, mit Gott
hör auf, das ist der beste Lebenslauf. Alles Ding währt seine Zeit,
Gottes Lieb' in Ewigkeit. Es ist kein Fädchen so fein gesponnen, es
kommt doch endlich an die Sonnen. Der Krug geht so lauge zu Wasser,
bis er bricht. Besser Unrecht leiden als Unrecht thun. Müßiggang ist
aller Laster Anfang. Morgenstunde hat Gold im Munde. Miblelem
hält man Haus, mit wenigem kommt man auch aus. Ein schlafender
Fuchs fängt kein Huhn. Durch Schaden wird man klug. Den Geschickten
hält man wert, den Ungeschickten niemand begehrt. Den Baum muß
man biegen, so lange er jung ist. Böse Gesellschaften verderben gute
Sitten. Der Horcher an der Wand hört seine eigene Schande Das
reichste Kleid ist oft gefüttert mit Herzeleid. Bescheidenheit das schönfle
Kleid. An vielem Laächen erkennt man den Narren.