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genannt, welcher sehr häufig von Marburg aus besucht wird. Der Sage
nach ging die heilige Elisabeth oft dahin, um in der Einsamkeit zu beten
und um in dem klaren Wasser des Quells ihr Weißzeug zu waschen.
Wenn es rein gewaschen war, warf sie es nur in die Luft, da blieb es
sogleich auf den Sonnenstrahlen hängen. Lange gingen seitdem die Frauen
und Mägde aus den nahen Dörfern hierher, um zur Pfingstzeit gleichfalls
ihr Weißzeug am Schröckerbrunnen zu waschen, und das thaten sie noch
vor etwa 50 Jahren, denn ohne Seife wäscht, sagten sie, das Wasser
dieses Brunnens rein.
Einmal begegnete der heiligen Elisabeth ein Verbrecher, der zur
Richtstätte geführt werden sollte. Einige Leute, die gerade vorüberkamen,
bedauerten den Verbrecher; doch Elisabeth sagte: „Er wird es verdient
haben.“ Und alsbald fiel alle Wäsche aus der Luft. Lynker.
121. Der Zaunkönig.
Es wollten einst die Vögelein beherrscht von einem König sein und
luden alle, groß und klein, zum königlichen Wettflug ein; und alle
schwangen sich empor, doch allen that's der Adler vor. Schon huldigt
ihm der Vögel Chor, als plötzlich unter ihm hervor der allerkleinste Vogel
flog und ihn ums Königreich betrog. Es hatte nämlich dieser Kleine
sich zwischen seine großen Beine, von ihm und allen unentdeckt, bis dahin
listiglich versteckt und flatterte jetzt keck hervor, that's ohne Müh' dem
Adler vor und wollte selbst nun König sein. Er ward's, allein zu seiner
Schande; denn alle Vögel, groß und klein, verhöhnten ihn im ganzen
Lande. Wohin er flog, da flog die Schmach dem kleinen König spottend
nach. Da fühlt die kleine Majestät, wie schlecht erlog'ne Würde steht,
und wohnt seitdem, um vor der Spötter Necken geschützt zu sein, in
Zäunen und in Hecken. Campe.
122. Der Zaunkönig und der Bär.
Zur Sommerzeit gingen einmal der Bär und der Wolf im Wald
spazieren; da hörte der Bär so schönen Gesang von einem Vogel und
sprach: „Bruder Wolf, was ist das für ein Vogel, der so schön singt?“
„Das ist der König der Vögel,“ sagte der Wolf, „vor dem müssen wir
uns neigen;“ es war aber der Zaunkönig. ‚„Wenn das ist,“ sagte der
Bär, „so möcht' ich auch gerne seinen königlichen Palast sehen, komm und
führe mich hin.“ —, Das geht nicht so, wie du meinst,“ sprach der Wolf,
„du mußt warten, bis die Frau Königin kommt.“ Bald darauf kam die
Frau Königin und hatte Futter im Schnabel, und der Herr König auch,
und wollten ihre Jungen äßen. Der Bär wäre gern nun gleich hinter