Full text: [Erster Theil, [Schülerband]] (Erster Theil, [Schülerband])

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dern! Wie ich an Sehnsucht leide! Wär's doch Weihnachten! 
Nun bin ich hoͤch und gestreckt wie die andern, die im letzten Jahre 
weggeführt wurden! — O, wär' ich schon auf dem Wagen! wär' 
ich doch in der warmen Siube mit all der Pracht und Herrlichkeit! 
und dann? Ja, dann kömmt etwas noch Besseres, noch Schöneres; 
weshalb sollten sie mich sonst so schmücken! es muß etwas noch 
Größeres, noch Herrlichereßs kommen — aber was? O, ich leide! 
ich sehne mich! ich weiß selbst nicht, was mit mir ist!“ 
„Freue dich unser!“ sagte die Luft und das Sonnenlicht; „freue 
dich deiner frischen Jugend im Freien!“ 
Aber der Baum freute sich gar nicht; er wuchs und wuchs, 
im Winter und im Sommer war er grün; dunkelgrün stand er da; 
die Leute, die ihn sahen, sagten: „Das sst ein herrlicher Baum!“ 
Als es nun wieder Weihnachten war, wurde er von allen zuerst ge— 
fällt. Die Arxt schlug tief durch's Mark, der Baum fiel mit einem 
Seufzer auf die Erde, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht; er 
konnte an gar kein Glück denken; er war betrübt, indem er von 
der Heimat getrennt wurde, von dem Platz, wo er hervorgeschossen 
war; er wußte ja, daß er nie die lieben, alten Kameraden, die kleinen 
Busche und Blumen rund umher, ja vielleicht nicht einmal die Vögel 
wiedersehen würde. Die Abreise war gar nicht angenehm. 
Der Baum kam erst zu sich selbst, als er im Hofe, mit den 
andern Bäumen abgepackt, einen Mann sagen hörte: „Jener dort 
ist prächtig, wir gebrauchen nur den!“ 
Nun kamen zwei Diener in vollem Staat, und trugen den 
Tannenbaum in einen großen, herrlichen Saal. Rundherum an den 
Wänden hingen schöne Bilder, und bei dem großen Kachelofen 
standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; dort 
waren Schaukelstühle, seidene Sopha's, große Tische voll von Bil— 
derbüchern und voll von Spielzeug für hundertmal hundert Reichs— 
thaler — wenigstens sagten die Kinder es. Und der Tannenbaum 
wurde in einer großen Tonne, die mit Sand angefüllt war, aufge— 
richtetʒ; aber keiner konnte es sehen, daß es eine Tonne war, denn 
gruͤnes Tuch wurde rund umher gehangen, und sie stand auf einem 
großen bunten Teppich. O, wie der Baum zitterte! Was sollte 
geschehen? Sowohl die Diener wie die Fräulein putzten ihn. An 
einen Zweig hingen sie kleine Netze, von farbigem Papier ausge— 
schnitten; jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt; vergoldete Aepfel 
und Waͤllnüsse hingen, als ob sie festgewachsen wären, und über 
hundert rothe, blaue und weiße Lichter wurden zwischen die Zweige 
gesteckt. Puppen, die leibhaftig wie Menschen aussahen, — der 
Baum hatte früher nie solche gesehen — schwebten in dem Grünen, 
und ganz oben im Gipfel wurde ein Stern von Flittergold 
befestigt; es war prächtig, ganz unvergleichlich prächtig. 
„Heute Abend,“ sagten sie alle, „heute Abend soll er strahlen!“ 
„O,“ dachte der Baum, „wär's doch Abend! würden nur die 
Lichter bald angezündet! und was mag dann geschehen? Ob wohl 
die Bäume aus dem Walde kommen und mich sehen? Ob wohl
	        
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