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lieh steigert. Wenn der Sturm bei klarem Wetter tobt, Sprühwellen
über Bord gehen, aber das Schiff wacker durch die Wellen steuert
und machtvoll den Kampf mit den Elementen kämpft, ist der See¬
mann selten in Ängsten; aber eine gedrückte, unheimliche Stimmung
befällt ihn beim Unglück verkündenden Nebel, der das Herz be¬
klemmt und den glücklichen Ausgang der Fahrt bei aller Vorsicht
zumeist dem guten Zufall überläßt. Die ganze Nacht stand unser
Kapitän auf seinem Posten, oben auf der Kommandobrücke, über
die Brüstung vornübergeneigt. So horchte er hinaus in die trübe
Nacht auf den fernen Ton der Signalhörner von Dover und auf das
dumpfe Heulen anderer Schiffe. In kurzen Zwischenräumen aber
zog er selbst die Leine, welche zur Dampfpfeife führt, und dann
erschallte dicht neben uns der ohrenzerreißende Ton, welcher sich
vom dumpfen Geheul durch eine ganze Reihe schauerlicher Töne
hindurch zum schrillen, weithin aushallenden Pfiff heraufwand. Dann
trat Stille ein, und wir horchten von neuem. Öfters vernahm man
den Warnungslaut anderer Schiffe, bald stärker, bald schwächer,
je nach der Windrichtung und Entfernung. In Aufregung und
Spannung verblieben wir die ganze Nacht.
Erst am späten Morgen lichtete sich der Nebel, und wir sahen
nun rings auf dem Meere zahlreiche Schiffe, welche der große Welt¬
verkehr in dieser Straße zusammenführt, langsam dahinfahren. Am
Vormittag tauchten lange Bergreihen von weißen, steilen Kreide¬
flächen aus dem Morgenduft hervor; wir erkannten Städtchen und
Dörfer und oben in grünen Gärten hell schimmernde Landhäuser.
Es war die Küste von England, nicht fern der Gegend von Brighton.
Aber bald entschwand das freundliche Bild. Der Nebel stieg wieder
langsam empor und legte sich dichter auf das Meer, je mehr die
Nacht hereinbrach. Das waren wieder böse Stunden. Schlaflos ver¬
brachte ich die Nacht; denn in kurzen Zwischenräumen durchdrang
der dumpfe Warnungslaut der Dampfpfeife schauerlich alle Räume
des Schiffes. Aber mit dem Morgen hatten wir die böse Nebelgegend
verlassen und steuerten in offenem Meer der französischen Küste zu.
Als wir uns am Abend der Bretagne näherten, welche in feinem,
bläulichem Zug am fernsten Horizont ruhte, und wir die vorgelagerte
Insel Ouessant, welche mit schroffen Felswänden aus den Fluten
auftaucht, umsegelt hatten, da nahm uns der offene Ozean mit stär¬
kerer Dünung und einer erquickenden Brise auf.
Mit geradem Kurs nach Südwest steuerten wir von jetzt an
der Nordwestspitze der Pyrenäenhalbinsel entgegen. Zwei Tage lang
sahen wir nun kein Land mehr, aber trotzdem bot die Fahrt Über-