Es war im Jahre 1644, als der schwedische General Torstenson
mit großer Heeresmacht vor das Städtlein zog. Die Bürger verteidigten
sich tapfer. Allein ihre Zahl war zu gering, und die Mauern waren zu
schwach, um lange widerstehen zu können. Am höchsten stieg die Not,
als die Schweden Brandkugeln in die Stadt warfen und an allen Ecken
und Enden Rauchsäulen in die Höhe stiegen. Da faßte sich der Pfarrer
Lange ein Herz. Er legte das Amtskleid an, nahm das heilige Bibelbuch
in die Hand und zog mit zwölf zarten Knäblein in weißen Totenhemden
hinaus zum Thore, gerade auf das Schwedenlager zu. Dabei sangen sie:
„Wenn wir in höchsten Nöten sein und wissen nicht, wo aus noch ein.“
Wer den Gesang hörte, dem ging es durch Mark und Bein. Selbst
die harten Schwedenherzen wurden weich, und am weichsten wurde das
des Generals Torstenson. Er begnadigte die Stadt und zog mit seinen
wilden Scharen ab. Groß war die Freude der halb sot geängsteten
Bewohner, und so inbrünstig ist wohl selten dem lieben Gott gedankt
worden für wunderbare Rettung als damals von den Pegauern.
22. Chemnitz.
Im mittleren Teile des Erzgebirges, in einem weiten Kessel, liegt Chem—
nitz, die größte Fabrikstadt Sachsens. Schon von weitem erblickt man einen
wahren Wald von hohen, schlanken Essen. Eine dichte, schwarze Rauchwolke
lagert über dem Thale und giebt der ganzen Gegend ein unfreundliches
Aussehen. Lange, schwerbeladene Eisenbahnzüge eilen von allen Seiten
der Stadt zu. Etliche schleppen die rußigen Steinkohlen herbei, andere
bringen Roheisen, wieder andere rohe Baumwolle, noch andere Farbholz
und dergleichen. Ebenso viele Züge rollen aus dem einen großen Eisen
bahnhofe hinaus und führen die fertigen Waren nach allen Gegenden der Erde.
Was für Waren aber liefert Chemnitz? Das kann man am besten er—
fahren, wenn man einen Gang durch die Straßen unternimmt. Thun wir
dies jetzt einmal im Geiste!
In nächster Nähe des Bahnhofes hören wir ein starkes Klirren. Es
rührt von schweren Eisenklumpen her, die von einem Rollwagen herab—
geworfen werden. Rußige Männer schleppen dieselben bis zu einem Ofen,
in dem ein gewaltiges Feuer brennt. Durch dieses Feuer wird das Eisen
geschmolzen. Die flüssige Masse wird später in Erdformen gegossen, und
so entstehen allerhand Gegenstände von Gußeisen, als Räder, verschiedene
Gestelle, Säulen, Gartenzäune, Brückenbogen und dergleichen. Was wir jeht
gesehen haben, ist eine Eisengießerei. Wir gehen weiter.
Bald stehen wir vor einer Kesselschmiede, aus der ein wahrer Höllen—
lärm hervordringt. Riesenhafte Eisenplatten werden hier zu Dampfkesseln
zusammengeschmiedet. Hämmer, die viele Zentner schwer sind, werden durch
die Kraft des Dampfes gehoben und fallen alsdann mit ihrer ganzen Wuchl
wieder nieder auf die Eisenplatten, die auf einem großen Anboß liegen.
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