Full text: Die Heimat (3 = 4. Schuljahr, [Schülerband])

c2 
und deckt der Erde Kindlein zu; 
dann schlummert es in stiller Ruh 
6. Bald flieht des Winters trübe Nacht; 
die Lerche singt, das Korn erwacht, 
der Lenz heißt Bäum' und Wiesen blüh'n 
und schmückt das Thal mit frischem Grün. 
7. Voll krauser Ähren, schlank und schön, 
muß nun die Halmensaat ersteh'n, 
und wie ein grünes, stilles Meer 
im Winde wogt sie hin und her. 
8. Dann schaut vom hohen Himmelszelt 
die Sonne auf das Ährenfeld; 
die Erde ruht im stillen Glanz, 
geschmückt mit goldnem Erntekranz. 
9. Die Ernte naht, die Sichel klingt, 
die Garbe rauscht; gen Himmel dringt 
der Freude lauter Jubelsang, 
des Herzens stiller Preis und Dank. Krummacher. 
70. Das Korn erzählt seine Lebensgeschichte. 
Entweder im Frühjahre oder im Herbste werde ich gesät, je 
nachdem ich Sommer- oder Wintergetreide sein soll. Der Landmann 
streut mich im taktmäßigen Schrite mit der rechten Hand in den 
Acker, nachdem er denselben durch fleißiges Pflügen in ein weiches 
Bett für mich verwandelt hat. Im warmen Bettchen fange ich bald 
an zu wachsen und bekomme einen Keim, der sich jung und kräftig 
zum Lichte empordrängt, und zarte, niedliche Füße, die man Würzel⸗ 
chen nennt. Anfangs trage ich ein rotes Röckchen wie einst Joseph, 
der Liebling seines Vaters Jakob; und am Morgen und am Abend 
werde ich mit funkelndem Gestein geschmückt, das ist der goldene Tau. 
Dann freuen sich die Leute, wenn sie an mir vorübergehen, und 
sagen, daß ich so prächtig aussehe. Was meine Gestalt betrifft, so 
bin ich dünn und schlank wie ein Faden, und die Grashalme sind 
meine Geschwister. Das rote Kleid habe ich nach einigen Tagen ab— 
gelegt und dafür ein grünes angezogen, wie es die Jäger tragen. 
Aber nun kommt eine traurige Zeit für mich. Die Sonne, die 
mich bisher so warm beschienen hat, läßt sich nur wenige Stunden 
sehen, und die Luft fängt an, empfindlich kalt zu werden. Damit 
ich nicht etwa erfriere, so zieht mir der liebe Herrgott über mein 
grünes Kleid einen dichten, flockigen Pelz, den ihm die Himmels— 
schäfchen — die Schneewolken — geliefert haben. Und da un alles 
um mich tot und öde ist, so halte ich mehrere Monate einen flär— 
kenden Winterschlaf.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.