21. Dornröschen. (c.)
Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden
Tag: „Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!“ und kriegten immer keins.
Da trug es sich zu, als die Königin einmal im Bade saß, daß ein
Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: „Dein
Wunsch wird erfüllt, und du wirst eine Tochter zur Welt bringen.“
Was der Frosch vorausgesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar
In so schones Mädchen, daß der König vor Freuden sich nicht zu lassen
pußle und ein großes Fest anstellte. Er lud nicht bloß seine Ver⸗
wandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weißen Frauen
dazu ein, damit sie dem Kinde hold und gewogen würden. Es
waren ihrer dreizehn in seinem Reiche; weil er aber nur zwölf goldene
Teller hatte, von welchen sie essen sollten, konnte er eine nicht einladen.
Die geladen waren, kamen, und nachdem das Fest gehalten war, be—
schenklen sie das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend,
die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem,
was Herrliches auf der Welt ist. Als elf ihre Wünsche gethan hatten,
am die dreizehnte herein, die nicht geladen war und sich dafür rächen
wollte. Sie rief: „Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten
Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen.“ Da trat die
woͤlfte hervor, die noch einen Wunsch übrig hatte; zwar konnte sie
den bosen Ausspruch nicht aufheben, aber sie konnte ihn doch mildern
und sprach: „Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger,
liefer Schlaf, in den die Königstochter fällt.“ Der König hoffte sein
liebes Kind vor dem Ausspruche zu bewahren und ließ den Befehl aus—
gehen, ba alle Spindeln im ganzen Königreiche sollten abgeschafft
Perden. An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen
sämmtlich erfüllt; denn es war so schön, sittsam, freundlich und ver—
ständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb haben mußte. Es
geschah, daß an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahre alt ward,
der König und die Königin nicht zu Hause waren, und das Fräulein
ganz allein im Schlosse zurückblieb. Da ging es aller Orten herum,
desah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch
n änen alten Turm. Es stieg eine enge Treppe hinauf und gelangte
zu einer kleinen Thür. In dem Schlosse steckte ein gelber Schlüssel,
Und als es ihn umdrehte, sprang die Thür auf, und saß da in einem
einen Stübchen eine alte Frau und spann emsig ihren Flachs. Ei,
du alles Mutterchen,“ sprach die Königstochter, „was machst du da?“
„Ich spinne,“ sagte die Alte und nickte mit dem Kopfe. „Wie das
Slng herumfpringt!“ sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte
auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angerührt, so ging der
Zauͤberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit.
In dem Augenblicke aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch
nieder in einen liefen Schlaf. Und der König und die Königin, die
ben zurückgekommen waren, fingen an, mit dem ganzen Hofstaate ein⸗