Wie kann es nur so etwas geben! Es mußte ein ganz besonderer, selt¬
samer Blick gewesen sein; denn Johannes legte den Arm um Asmns und
zog ihn an sich.
Dann ging der Vorhang auf. Was da alles vor sich ging, das
konnte Asmus nicht auf einmal bewältigen. Er hörte oft nichts von den
Worten, weil er mit den Augen an einem besonnten Baumwipfel oder an
einer blauen Wolkenferne hängen blieb, er sah oft nicht, was vorging,
weil er mit allen Sinnen am Munde eines Sprechenden hing. Alle Zu¬
schauer ringsherum hätten fortgehen können, er würde es nicht bemerkt
haben; denn sein Sinn und seine Sinne hatten nur ein Ziel. Noch als
Erwachsener sah Asmus Semper mit greifbarer Lebendigkeit, wie der
Jäger (seltsamerweise vor dem Vorhang!) das zitternde Schneewittchen
mit dem Hirschfänger bedrohte, und wie er sie endlich auf ihr inständiges
Flehen, das dem kleinen Semper zwei große Tränen entlockte, frei gab,
wie die sieben Zwerge in possierlich abgestufter Reihe mit einem drolligen
Gesang auftraten, wie das arme vergiftete Königskind tot hinstürzte, wie
es mitten in einem Kranze dunkeln Waldesgrüns in gläsernem Sarge lag,
und wie die Zwerge Wache hielten im schweigenden Abendrot. In einem
Zwischenakt fragte er seinen Bruder mit leiser, unterdrückter Stimme, ob
die Menschen dort auf der Bühne nun wirklich Menschen wären, oder was
sie sonst wären, und jedesmal, wenn das Schneewittchen leblos hingefallen
war, fragte er dringend und bange, ob sie nun wirklich tot sei.
Langsam, langsam verebbend floß durch viele Wochen die goldene
Welle fort, die dieses Ereignis in des kleinen Sempers Seele erregt hatte.
Ernst, Asmus Sempcrs Jugendland.
25. 8pnücke.
1. Tu nur das Rechte in deinen Sachen,
das andre wird sich von selber machen.
Johann Wolfgang Goethe.
2. Aus nichts wird nichts, das merke wohl,
wenn aus dir etwas werden soll. Matthias Claudius.
3. Das sind die Weisen,
die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.
Die bei dem Irrtum verharren,
das Sind die Narren. Friedrich Rücken,
v
4. Tu redlich nur das Deine,
tu’s mit Schweigen und Vertrau’n,
rüste Balken, haue Steine!
Gott der Herr wird bau’n. Emanuei Geibei.
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