106
damit die Eier nicht ausschlüpfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden!"
und lächelte dazu.
Der reiche Fremdling aber sagte: „Herr Doktor, Ihr seid ein feiner
Kauz, und ich verstehe Euch wohl," und ist nachher dem Rate gefolgt
5 und hat siebenundachtzig Jahre vier Monate zehn Tage gelebt wie ein
Fisch im Wasser so gesund und hat alle Neujahr dem Arzte zwanzig
Goldstücke zum Gruße geschickt.
Merke: Arbeit, Mäßigkeit und Ruh' schließt dem Arzt die Türe zu.
^Johann Peter Hebel.
io 105. Von Kleidern.
Wenn du einen Flecken an deinem Kleide oder irgendwo einen
Riß hast, denkst du oft: „Pah, das sieht man nicht, und die
Leute haben andres zu tun, als immer alles an mir auszumustern.“
— Du gehst dann frank und frei herum, und es kann oft sein, du
15 hast recht, es sieht niemand den Flecken und den Riß.
Wenn du aber etwas Schönes auf dem Leibe hast, sei es nur
ein schönes Halstuch oder ein frisches Hemd mit weißer Brust oder
gar eine goldene Nadel und dergleichen, da gehst du oft mit heraus¬
forderndem Blicke hinaus und schlägst die Augen nieder, um es nicht
20 zu bemerken, wie alle Leute, was sie in den Händen haben, stehn
und liegen lassen und gar nichts tun, als deine Herrlichkeit
betrachten. — So meinst du; aber das ist auch gefehlt; kein Blick
wendet sich nach dir und deiner Pracht.
Das eine Mal meinst du, man sieht dich gar nicht, und das
25 andre Mal, die ganze Welt hat auf dich gewartet, um dich zu be¬
schauen; aber beides ist gefehlt.
Gerade so ist es auch mit deinen Tugenden und Lastern.
Wenn du einen bösen Weg gehst, meinst du, es kennt dich
kein Mensch, und keiner sieht sich nach dir um, und es ist stock-
30 dunkel. Wenn du aber dem Rechtschaffenen nachgehst, redest du
dir oft ein, jeder Pflasterstein hat Augen, jedes Kind kennt dich und
deine Gedanken, und tausend Sonnen scheinen. Das Gute wie das
Schlimme wird indes von der Welt oft nicht beachtet. Ein Auge
aber sieht alles: das ist Gottes Auge.
35 Darum halte dich selber vor deinem Gott über dir und deinem
Gewissen in dir in Ehren; dann brauchst du nicht das eine Mal zu
fürchten, daß dich alles sieht, und dir dabei etwas vorzulügen, und
das andre Mal zu zürnen, daß dich niemand sieht. Berthoid Auerbach.
106. Wer nicht hören will, muß fühlen.
40 Es hört wohl mancher und will auch hören; aber gehorchen
will er nicht, — und das eben ist gemeint. Daß ein Ungehorsamer
Strafe leiden muß, wirst du von Haus aus und auch aus der Schule
wissen. Es ist durchaus nicht notwendig, daß man sich unter