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um auch hier nicht von dem Vater zu lassen, um auch hier als schlitzender Engel seine
unsicheren Schritte zu geleiten. Und so hat sie ihn denn auch hinausgeführt in die öde
Fremde, hat sein trauriges Schicksal geteilt, bis er seiu Grab fand, und so blieb der
arme blinde Bettler dennoch reich durch die treue Liebe seines Kindes.
Christoph Ernst Freiherr von Honwald-
5. Karts des Großen Kaiserkrönung und Jod.
So glänzend die Siege König Karls waren, und so folgenreich diese für die ge¬
faulte spätere Geschichte geworden sind, so kommt doch in der ganzen Regierungszeit
des großen Königs kein Tag dem des Weihnachtsfestes des Jahres 800 an Wichtigkeit
und Bedeutung gleich. An diesem Tage ward Karl, der König der Fraliken und
Langobarden, zum römischen Kaiser gekrönt: ein Ereignis, auf welchen! fortan die Ge¬
schichte des Abendlandes beruht.
Papst Leo III. war es, durch dessen Hand das römische Kaisertum im Westen
wiederhergestellt ward, als Karl auf seinem fünften italienischen Zuge nach Rom ge¬
kommen war. Die Veranlassung zu diesem Zuge gab ein Streit, in welchen der Papst
mit einer anarchischen (gesetzlosen) Partei in Rom geraten war. Daher begab sich Leo
in das Frankenreich, um sich die Hilfe des Schirmvogtes der Kirche zu erbitten. Karl,
damals gerade auf einem Heereszuge gegen die Sachsen begriffen, empfing den Papst
auf dem Reichstage zu Paderborn und sendete mehrere Bischöfe und Grafen, welche
eine richterliche Untersuchung wegen der blutigen Austritte, die daselbst sich zugetragen
hatten, anstellen sollten. Dies geschah; die schuldig Befundenen wurden ergriffen und
nach Frankreich abgeführt. Bald darauf kam Karl selbst nach Rom und stellte Ruhe
und Ordnung völlig wieder her. Nichts sicherte aber diese Ruhe, sobald der Schirmherr
Italien wieder verließ. Die Römer hatten hinlänglich gezeigt, wie wenig sie geneigt
waren, sich von dem Frankenkönige gebieten zu lassen. Dies aber war die notwendige
Bedingung, wenn für die Zukunft vielfachen Unruhen und besonders denen vorgebeugt
werden sollte, welche jedesmal die Papstwahl begleiteten und ganz Rom in Aufregung
versetzten. Konnte dem stolzen Rom ein Kaiser wiedergegeben werden, konnte das abend¬
ländische Reich von neuem in seinem Glanze erstehen, so schien dadurch auch für die
kommenden Geschlechter der Friede begründet zu seiu. Diese Erneuerung der Kaiser¬
würde konnte nur geschehen in dem wirklichen Beherrscher des römischen Westreichs, in
Karl dem Großen; sie konnte nur ausgehen von der Kirche. Was aber auch
immer die Gründe gewesen sein mögen, welche die Erneuerung der Kaiserwürde in der
Person Karls des Großen herbeiführten: die eigentliche und lvahre Erklärung ist außerhalb
der menschlichen Berechnung zu suchen, in der göttlichen Vorsehung, die, nachdem sie
alles dazu vorbereitet, den Gedanken in die Seele des Papstes legte und durch ihn das
Werk vollführte. Und so geschah, daß, als König Karl, der Mehrer des Reichs von dem
Ebro bis zur Raab, von Benevent bis zur Mark der Dänen, am Tage der Geburt
des Herrn in der Kirche des hl. Petrus sich im Gebete vor dem in der Krippe liegenden
König der Könige demütigte, der irdische Stellvertreter des Weltheilandes zu ihm trat
und sein Haupt unter dem lauten und frohen Zurufe des Volkes: „Karl, dem Augustus,
dem von Gott Gekrönten, dem großen friedfertigen Imperator der
Römer, Leben und Sieg!" mit einer goldenen Krone schmückte. Karl empsing
sodann von dem Papste die Salbung und versprach, jetzt als höchster weltlicher Herrscher
den Schutz der Kirche Jesu Christi als die höchste Pflicht seiner neuen Würde zu über¬
nehmen. Rom sah die Tage der alten Kaiserzeit verjüngt, da der neue Augustus im
kaiserlichen Schmucke seiner Vorfahren im Reiche dem frohlockenden Volke sich zeigte.
Er kehrte dann heim nach Aachen, dem königlichen Sitze, und alle Unterthanen seines
Reiches schwuren ihm, dem Kaiser, einen neuen Eid, wohl verschieden von dem Eide,
den sie dem Könige geleistet.
Nachdem der Kaiser dann das große Werk vollbracht, daß er die Sachsen der
christlichen Religion zugeführt, da dachte er daran, im voraus zu bestimmen, wie seine
drei der Thronfolge fähigen Söhne das Reich teilen sollten. Karl, dem Erstgeborenen
unter ihnen, bestimmte er das ganze Reich Austrasien, Pipin Italien und Ludwig
Aquitanien. Diese Bestimmungen wurden von Karl in ein Testament zusammengefaßt