fullscreen: Deutsches Lesebuch für Obersekunda (Teil 7)

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„Gott schuf das Meer, der Bataver aber den festen wall der Küste." 
wo einst die nordwestlichsten Deutschen, die Thauken, ein kaum menschen¬ 
würdiges Dasein fristeten, täglich zweimal zur Flutzeit vom einbrechenden 
Meer umgarnt, daß sie wie Schiffbrüchige in ihren auf künstlichen Hügeln 
erbauten Hütten als Flüchtlinge lebten, da hat der goldene Reif des Deich¬ 
baus, den ihre Nachkommen aufführten, fette wiesen, besten Nckerboden 
in dessen Schutz gewinnen lassen, und Hunderte von Kanälen durchziehen 
wie weiland Babylonien zur Be- und Entwässerung das gesegnete Gefilde, 
aus dem man künstlich das Wasser zum Meer geleiten mutz,- denn reichlich 
ein viertel der Niederlande, der ganze Raum von der Südersee bis zur 
Schelde, liegt tiefer als der Meeresspiegel. Dies ganze Land ist mithin 
echtester Kulturboden sogar seinem Ursprung nach, ihn hat der Mensch 
nicht meliorierend umgeschaffen, sondern erschaffen, dem Meere abgerungen. 
Schulter an Schulter mit den Niederländern haben wir auch auf deut¬ 
schem Boden den Deichbau zur wehr gegen die anstürmende Nordsee aus¬ 
geführt, am Dollart unterseeische Polder erworben und innere Landerobe¬ 
rungen durch Urbarmachen der Moore, Trockenlegung von Sumpfstrecken 
erzielt; ja, Friedrichs des Großen Trockenlegung des Dderbruchs steht auf 
ähnlicher höhe wie diejenige des haarlemer Meeres, die neuerdings 18 000 
Hektar ausgezeichneten Fruchtbodens lieferte, die Heimstätte von zurzeit 
14 000 zu ansehnlichem Wohlstand gelangten Holländern. In den deutschen 
Mittelgebirgen, deren Begehung vielfach durch Torfmoore erschwert wurde, 
hat der Nbstich letzterer freilich die Wasserkraft der aus ihnen gespeisten 
Bäche beeinträchtigt, denn jene gaben vorzügliche Reservoire ab für den 
Niederschlag: Regen- wie Schmelzwasser speicherte sich in ihnen wie in einem 
Schwamm auf und erhielt die Gewässer selbst bei Trockenheit und Hitze stark. 
Mancher unserer Gebirgsbäche, der jetzt zur Sommerzeit nur als dünner 
Wasserfaden durch sein Felsental niederrieselt, hat noch vor wenigen Jahr¬ 
hunderten selbst unweit seines Ursprungs rastlos die Räder von Säge¬ 
mühlen getrieben. 
Eben in dieser Wasserökonomie haben wir auch die Hauptbedeu¬ 
tung des Waldes zu erkennen. Daß Entwaldung stets zum Niedergang 
eines Landes führen müsse, kann man allerdings nicht zugeben. Das hängt 
ja ganz von seiner Naturbegabung ab. Die britischen Inseln sind durch 
ihre Bewohner zum waldärmsten Glied des europäischen Körpers geworden 
und trotzdem eins der regenreichsten geblieben, weil ihnen der Südwest 
vom Golfstrom her Regenwolken in Fülle zutreibt, gleichviel ob diese Wälder 
antreffen oder irische Viehtriften oder englische Feldflur und Parklandschaft. 
Waldrodung ist in jedem waldland die unerläßliche erste Kulturtat des Nn- 
siedlers, denn er braucht geklärten Boden zu Hausbau wie Rusfaat. Indessen 
wehe dem Volk, das ohne Verständnis für die Eigenart seiner Heimat vermessen 
antastet dessen Waldmitgift! wie wir jetzt in Deutsch-Südwestafrika dazu
	        
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