Full text: [Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband]] (Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband])

Sache in seiner großen Weise an. Er ließ römische Säulen und Orna¬ 
mente nach Deutschland fahren, Kapitüle und Zieraten nach den Bauten 
von Rom und Ravenna abformen. So baute er zahlreiche Kirchen und 
Klöster, sich selbst einen Palast zu Ingelheim, ein Wunder im Franken¬ 
lande, und so gründete er sich eine Residenz an den warmen Quellen von 
Aachen. Dort stand er aus der Stätte, die er gewählt hatte, und be¬ 
zeichnete selbst seiner Stadt die Straßen und Plätze, den Mauerbezirk 
und die Stelle des Rathauses für den Senat. Die Scharen der Arbeiter 
zogen heran, sie bauten das große Gotteshaus und den Palast, sie hieben 
rohes Gestein zu Säulen, gruben den Hafen, legten Grund zum Platz für 
Kampfspiele und deckten die Halle mit hohem Balkendach. Andere fingen 
das Wasser der warmen Quelle ein, faßten sie schön mit Marmor, formten 
die Sitze für die Badenden und leiteten Wasser in alle Teile der Stadt. 
Die Lastwagen rollten, Hammerschlag und emsige Arbeit tonte, die Gegend 
summte wie von ungeheurem Bienenschwarm. Auf dem Platz des Palastes 
aber stellte Karl das eherne Reiterstandbild des großen Ostgoten Theodorich 
auf, das er von Ravenna weggeführt hatte. 
Seit Einrichtung der Hofschule begann während stürmischen Kriegs¬ 
jahren im Frankenreich ein neues Leben, dessen Mittelpunkt der Kaiser 
mit seinem Hofe war. Die Hofschule Alkuins hatte ihre Wirkung getan; 
aus seinen Geistlichen und den Edlen des Hofes war ein Kreis von jungen 
Gelehrten heraufgewachsen; das Gefühl irdischer Macht und die Freude an 
lieu erworbenen Bildung hob die Gemüter zu fast poetischem Schwünge. 
/v Der gelehrte Angelsachse oder der gebildete Römer, welcher damals 
die Pfalz des Königs besuchte und befangen erwartete, vor das Angesicht 
des großen Königs geführt zu werden^ fand in dem Vorzimmer eine Zahl 
von Männern versammelt, die wohl wert waren, daß er sie mit Anteil 
betrachtete und ihrer Rede lauschte. Die Blüte des Hofes, Edle und 
Gelehrte, Lehrer oder frühere Schüler der Hofschule, bildeten einen ver¬ 
trauten Kreis, in dem sich der König mit seinen Kindern am freudigsten 
bewegte; denn diese Vertrauten standen mit der königlichen Familie in 
einem zwanglosen poetischen Verein zu geselliger Förderung in Wissen 
und Kunst, der allerdings mit den späteren Akademien wenig gemein hat. 
Jeder erhielt darin einen oder mehrere Beinamen, nach einem Brauch, den 
Alkuin aus der Schule von Jork mitgebracht hatte. Der Zweck des 
Kränzchens war wohl kein anderer, als gebildete Unterhaltung; seine Be¬ 
deutung für die Gelehrten und die Zeitbildung doch sehr groß. 
Schon unter den Merowingern war ein Zeremoniell des Hofes aus¬ 
gebildet; auf Rang und Hofwürde wurde eifrig gehalten. Aber zwischen 
den reichgekleideten Hoflenten standen priesterliche Gelehrte in der weißen 
Dalmatika, angelsächsische Mönche in der Tracht des heiligen Benedikt, 
dunkele Schottenmönche aus Irland, barbeinig mit rohen Ledersandalen. 
Die Ankommenden empfing der Oberkämmerer Meginfried, für den Tages- 
Porger-Lemp, Lesebuch. VI. - 11
	        
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