Full text: Deutscher Dichterhain

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Mein Herz trägt heimliches Ceid. 
1. Der Ulmenbaum, der starke, Tage und Monden schwinden, 
Zum Himmel fröhlich ragt, Ich suche weit und breit 
Derweil in seinem Marke Und kann den Quell nicht finden. — 
Tötend der Holzwurm nagt. Mein Herz trägt heimliches Leid. 
n 
d e 3. Der Mai hat über die Auen 
Sie hallen im Lande wieder. — g n 
* un Mein Auge soll nicht schauen, 
Mein Derz irügt heimnliches veid— Die mich am meisten freut. 
2. Ein Brunnen quillt verborgen Ein Vogel singt im Flieder 
Aus dunklem Erdenschacht. Von Minne und Hochgezeit. 
Des Wasser alle Sorgen Sonne, wann gehst du nieder? 
Und Leiden vergessen macht. Mein Herz trägt heimliches Leid. 
In alten Zeiten. 
1. Meine alte, gute Muhme Lore wußte zu berichten 
Mehr als tausend Sagen, Märchen, Schwänke, Mord- und Spukgeschichten, 
Doch am Schlusse sprach sie sorglich: „Kleiner, schreib dir's hinters Ohr, 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor.“ 
2. „Droben in dem Burggemäuer,“ sprach im Flüsterton die Muhme, 
„Wächst zur Zeit der Sonnenwende eine gelbe Schlüsselblume. 
Wer sie pflückt, der ist geborgen, denn dann rückt ein Schatz empor. — 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor. 
3. „Hatt' einmal ein armer Schäfer eine Dirne sich erkoren, 
Und drei Monden vor der Hochzeit ging sein Augenlicht verloren. 
Doch sie ließ nicht von dem Blinden, dem sie Lieb' und Treue schwor. — 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor. 
4. „Träumend lag sie einst im Grase in dem Schloßhof auf dem Berge; 
Sieh, da trat zu ihr ein kleines, silberbärtiges Gezwerge, 
Und das Zwerglein neigte flüsternd seinen Mund zu ihrem Ohr. — 
Also war's in alten Zeiten, heute kommt das nicht mehr vor. 
5. „Sieh die Schlüsselblume,“ sprach es. „Willst du Geld und Gut erlangen; 
Grab sie aus; an ihrer Wurzel wird ein rost'ger Schlüssel hangen; 
Und mit Blum' und Schlüssel findest du der Zauberhöhle Thor.“ — 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor. 
6. „Wird die Blume abgebrochen, sinkt der Schlüssel tausend Klafter, 
Doch der Schlüsselblume Stengel ein noch größer Wunder schafft er, 
Sehend macht er einen jeden, der sein Augenlicht verlor. — 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor. 
7. „Grub die Dirne nach dem Schlüssel? Nein des Schäfers Augenlieder 
Strich sie mit der Wunderblume, und das Augenlicht kam wieder 
Tausend Klafter sank der Schlüssel zu der Zauberhöhle Thor. — 
Also war's in alten Zeiten; heute kommt das nicht mehr vor.“
	        
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