Friedrich Rückert.
Rückert hat immer auf diesen Tag geharrt; freilich hat er ihn
selbst nicht mehr erlebt, doch die aufgehende Morgenröte hat noch
seine letzten Lebenstage mit rosigem Schimmer übergossen.
Im Jahre 1821 vermählte sich Rückert und bezog sein Gut
Neuseß bei Koburg, wo er eine reiche dichterische Tätigkeit ent—
faltete, die er sein ganzes Leben lang fortsetzte. Der „Liebes—
frühling“, ein köstlicher Strauß lyrischer Lieder, gehört zu dem
Schönsten, was unsere Literatur in dieser Beziehung uns bietet.
Daneben vermittelte er dem deutschen Volke in mustergültiger
Übersetzung die Perlen der morgenländischen Dichtung und zeigte
sich zugleich als Meister der didaktischen Poesie. Durch Ver—
mittelung seiner Freunde wurde er 1827 als Professor für
orientalische Sprachen nach Erlangen berufen und von da 1841
nach Berlin versetzt, fühlte sich hier aber nicht heimisch und zog
sich daher 1848 auf sein Gut Neuseß zurück, wo er am 31. Januar
1866 starb.
1. Geharnischte Sonette.
Aus den Vorklängen:
Ihr Deutschen von dem Flutenbett des Rheines,
Bis wo die Elbe sich ins Nordmeer gießet,
Die ihr vordem ein Volk, ein großes, hießet,
Was habt ihr denn, um noch zu heißen eines?
Was habt ihr denn noch Großes, Allgemeines?
Welch Band, das euch als Volk zusammenschließet?
Seit ihr den Kaiserzepter brechen ließet
Und euer Reich zerspalten, habt ihr keines.
Nur noch ein einz'ges Band ist euch geblieben,
Das ist die Sprache, die ihr sonst verachtet;
Jetzt müßt ihr sie als euer einz'ges lieben.
Sie ist noch eu'r, ihr selber seid verpachtet;
Sie haltet fest, wenn alles wird zerrieben,
Daß ihr doch klagen könnt, wie ihr verschmachtet.