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richtenwesen sich entwickelt, je schneller die Technik des Weltverkehrs arbeitet,
desto wichtiger ist es für die Kriegführenden, ihre Geheimnisse zu wahren.
Zukunftskriege werden noch ganz andere Bilder liefern. Es wird wahr⸗
scheinlich dazu kommen, daß die kriegführenden Staaten notgedrungen jede
nicht amtliche Berichterstattung vollkommen unterbinden. Es mag dies für
die Allgemeinheit der Unbeteiligten bedauerlich sein, für die Kriegführenden
ist es ein Gesetz des eigenen Interesses.
„Nordwestdeutsche Zeitung“ nach dem „Militär⸗Wochenblatt“
73. Der Rrieg der Tũge.
Gleich in den ersten Mobilmachungstagen verbreitete der ganze Chor
der Pariser Presse Lügen über Lügen: „Auf Kaiser Wilhelm ist ein Attentat
verübt worden, dreimal sogar; das letzte Mal mit Erfolg: der Kaiser ist er—
mordetl — Mehrere als Weiber verkleidete Russen sind ins Kronprinzen⸗
palais eingedrungen und haben den Kronprinzen am Hals verwundet! —
In Deutschland ist die Revolution ausgebrochen: das Schloß in Berlin und
die Paulskirche in Frankfurt stehen in Flammen! — Französische Flieger
haben den Frankfurter Hauptbahnhof vollkommen zerstört! — Die englische
Flotte hat Hamburg in Brand geschossen! — Hunderttausend Japaner sind
unterwegs, um unter englischem Schuß im Norden von Deutschland zu landen!
— Die deutsche Flotte ist von den englischen Kriegsschiffen an die holländische
Küste geworfen worden! — Das italienische Schiff „Puglia“ hat 29 öster⸗
reichisch-ungarische Kriegsschiffe entwaffnet. — Garros, der bekannte Flieger,
sieht bei Toul einen deutschen Zeppelin und stürzt sich auf ihn; der Zeppelin
explodiert; die Insassen tot, auch Garros. — Bei Lüttich stürzt sich ein belgischer
Flieger auf einen deutschen Flieger, der Deutsche wird durchschnitten und der
Belgier — fliegt weiter.“ Angesehene französische Gelehrte und Akademiker
gingen mit diesen Tatarennachrichten voran. Das Tollste leistete sich in den
ersten Tagen des August der frühere französische Minister des Aeußern,
Sanotaux, der im „Figaro“ behauptete: „Kaiser Wilhelm ist ein Gefangener
und ein Opfer der Kriegspartei, an deren Spitze sein eigener Sohn steht und
die den Kaiser vom Thron zu stoßen droht!“ Und der Graf Albert de Mun
schrieb zur selben Zeit: „Europa weiß jetzt — denn die Tore Berlins sind nicht
so gut bewacht, daß das Gerücht nicht hinausgedrungen wäre — daß die
deutsche Armee zunächst gezwungen ist, in den Straßen der Hauptstadt die
Reservisten niederzuschießen, die sich weigerten in den Krieg zu ziehen.“ Selbst
die verantwortlichen VBotschafter der englischen und französischen Regierungen
wurden von dieser Seuche angesteckt. So ließ der französische Botschafter in
Konstantinopel am 10. August an die Votschaftspforte ein Extrablatt an—
heften: „Mezt ist in französische Hände gefallen!“ Und der englische Botschafter
in Konstantinopel ließ an seiner Botschaft amtlich und offiziell anschlagen:
„In der Nordsee hat eine Seeschlacht stattgefunden, in der 22 deutsche und
4englische Kriegsschiffe gesunken sind! General French ist in Belgien ge⸗
landet und hat ein deutsches Garderegiment vernichtet!“ Der Votschafter ließ