Fünfter Zeitraum.
Der Zusammenbruch und die Erniedrigung des Staates und die
Fremdherrschaft.
1786—1812.
§ 111. Ursachen.
A. Innere Gründe. „Einschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs
des Grofsen“, Ausbleiben jeder Reform.
I. Persönlichkeit der Herrscher. Die Staatsverfassung
Friedrichs II setzte das unmittelbare Eingreifen eines
ganz aufsergewöhnlichen, genialen Herrschers in fast allen
Zweigen der Staatsverwaltung voraus. Dagegen war
1) Friedrich Wilhelm II genufssüclitig, persönlichen
Neigungen und Einflüssen nachgebend, von der Gott-
ähnliclikeit seiner Stellung erfüllt;
2) Friedrich Wilhelm III unentschlossen, aus über-
grofser Gewissenhaftigkeit unselbständig, zu kriegs¬
scheu — sonst eine „ Aristidesnatur“.
II. Kabinettsregierung, an Stelle der persönlichen Regierung
des Monarchen, diente unsicher und unstet den wecli-*
selnden Stimmungen und erregte grofses Mifsfallen.!)
III. Territoriale Ausbreitung, von 3500 auf 5700 Quadrat¬
meilen, machte aus dem auf gesunden, natürlichen Grund¬
lagen ruhenden Staate einen künstlichen, ein schwer¬
fälliges Mischreich2), „ein zusammengeschwemmtes
') Die Kabinettsräte (§ 108 A. I. Anm.) erlangten schon unter Friedrich
Wilhelm II gröfseren Einflufs, unter seinem Nachfolger warfen sie sich zu Ver¬
mittlern zwischen ihm und den verantwortlichen Ratgebern, den Ministern,
auf und wurden schließlich die eigentlichen Berater des Königs, so wenig Ansehen,
Vertrauen und Gewalt sie auch besafsen. Persönlich darf man aber einen Lombard
u. a. nicht zu sehr verantwortlich machen.
2) „Alle diese Vergröfserungen waren nicht unter den Impulsen einer starken,
treibenden Kraft gemacht, sie waren zum Teil widerwillig, nach rühmlosen Feld¬
zügen von einem übermächtigen Feinde aufgedrängt. Und Deutschland machte
die merkwürdige Erfahrung, dafs Preufsen unter fortgesetzten Demütigungen und
diplomatischen Niederlagen anschwoll und dafs seine Zunahme an Landgebiet und
die Abnahme seines Ansehens in Europa gleichen Schritt hielten.“ Freytag.