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bildungsschule pünktlich besuchte und sich durch Fleiß und Sittsamkeit aus¬
zeichnete, ist durchaus nicht zum Verwundern. Andernfalls wäre der Vater
gar unsanft mit ihm umgegangen.
In der Werkstätte war Gustav eifrig, willig und aufmerksam. Nicht
nur die Hände, sondern auch seine Gedanken waren bei der Arbeit. Er
begnügte sich nicht mit der Oberflächlichkeit, sondern forschte auch über das
„Warum und Weil" nach. Gegen die Arbeitsgenossen war er bescheiden,
höflich und nachgiebig. Niemals aber hätte er sich bewegen lassen, hinter
dem Rücken des Meisters etwas Unrechtes zu tun. Als er sah, daß sich
ein neueingetrcteuer Geselle eine Veruntreuung zuschulden kommen ließ, teilte
er es unverzüglich dem Meister mit. Wohl wurde Gustav dafür eine Zeit¬
lang angefeindet, allein bald sah man ein, daß es nicht aus Schadenfreude
geschah, sondern ein Ausfluß seiner Gewissenhaftigkeit war, was sein Ansehen
in der Werkstätte füglich noch erhöhte.
Im Umgänge mit der Familie des Meisters zeichnete sich Gustav
durch höfliches, freundliches und zuvorkommendes Benehmen aus, so daß er
sich auch hier sehr beliebt machte. „Schade, daß Gustav nicht unser Sohn
ist!" sagte die Frau Meisterin oft zu ihrem Manne. -
Gustav lebte auch genau nach den Vorschriften seines Glaubens, dessen
Besitz ihm für alle Güter der Erde nicht feil wäre. Wie in den Tagen
der Kindheit, so vergaß er auch als Lehrling das Beten nicht. Ganz
gewissenhaft erfüllte er am Tage des Herrn seine Christenpflichten und
machte alsdann einen Spaziergang in Gottes schöne Natur. Erlaubte dies
die Witterung nicht, so suchte er Unterhaltung in guten Büchern, welche er
in der öffentlichen Bibliothek des Städtchens geliehen hatte.
Gar streng mied er das Wirtshaus. Nie vergaß er die väterlichen
Abschiedsworte: „Denke stets, daß im Wirtshanse das zeitliche und ewige
Glück so manches jungen Menschen begraben wurde. Gläserklang, Würfel¬
gepolter und Kartenflüche bildeten das Totengelünte dabei."
So war für Gustav, ohne daß dieser es recht wußte, das Ende der
Lehrzeit heran gekommen. Nun wurde in dem Städtchen die alljährliche
Handwerker-Versammlung des Lands abgehalten. Verbunden war damit
eine Ausstellung von Lehrlingsarbeitcn, wobei die besten durch Preise aus¬
gezeichnet werden sollten. Gustav, der seine Mutter an ihrem Namenstage
durch ein Geschenk überraschen wollte, hatte eine wunderhübsche Nählade
fertiggestellt. Als Muster hatte ihm eine reichverzierte, mittelalterliche
Zunftlade gedient, deren Abbildung er in einer Beilage der „Gewerbe-
zeitung" gefunden hatte. Gar prächtig war ihm die Anfertigung des Gegen¬
stands, welcher zahlreiche Einlagen aufwies, gelungen. Ohne jede fremde Hilfe
und nur in den freien Stunden hatte er an diesem schönen Werke kindlicher
Liebe und Verehrung gearbeitet. Die Arbeit trug ihm reiches Lob seitens
seines Meisters ein. Ja, er bewog Gustav, die Nählade zur Preisbewerbung
einzusenden. Sie wurde auch tatsächlich durch einen ersten Preis ausge-