Full text: Sammlung deutscher Gedichte für Schule und Haus

Aus verschiedenen Ländern. 419 
Wo du gehst, es ergießen in Strömen die Menschen sich: 
Willst zum Strande du folgen vielleicht und die Fischer sehn, 
Wie mit nerviger Kraft an das Ufer sie ziehn das Netz, 
25 Singend, fröhliches Muts, in beglückender Dürftigkeit? 
Und schon lauert der bettelnde Mönch an dem Usersand, 
Heischt sein Teil von dem Fang, und die Milderen reichen's ihm. 
Ihre Weiber indes, in beständiger Plauderlust, 
Sitzen unter den Türen, die Spindel zur Hand, umher. 
30 Sieh, da zeigt sich ein heiteres Paar, und es zieht im Nu 
Castagnetten hervor und beginnt die bacchantische 
Tarantella, den üppigen Tanz, und es bildet sich 
Um die beiden ein Kreis von Beschauenden flugs umher; 
Mädchen kommen sogleich und erregen das Tamburin, 
35 Dem einfacheren Ohr der Zufriedenen ist's Musik: 
Zierlich wendet die Schöne sich nun und der blühende 
Jüngling auch. Wie er springt! wie er leicht und behend sich dreht, 
Stampfend, Feuer im Blick! Und er wirft ihr die Rose zu. 
Anmut aber verläßt den Begehrenden nie, sie zähmt 
40 Sein wollüstiges Auge mit reizender Allgewalt! 
Wohl dem Volke, dem glücklichen, dem die Natur verliehn 
Angeborenes Maß, dem entfesselten Norden fremd! — 
Durchs Gewühle mit Müh', ein Ermattender, drängst du dich 
Andre Gassen hindurch; der Verkäufer und Käufer Lärm 
15 Ringsum. Horch, wie sie preisen die Ware mit lautem Ruf! 
Käuflich alles, die Sache, der Mensch, und die Seele selbst. 
Aus Karossen und sonstigem Pferdegespann, wie schrein 
Wagenlenker um dich und der dürftige Knabe, der 
Auf die Kutsche sogleich, dir ein Diener zu sein, sich stellt. 
50 Sieh, hier zügelt das Kabriolett ein beleibter Mönch, 
Und sein Eselchen geißelt ein anderer wohlgemut. 
Dort steht müßiges Volk um den hölzernen Pulcinell, 
Der vom Marionettengebälke possierlich glotzt; 
Hier Wahrsager mit ihrer gesprenkelten Schlangenbrut. — 
55 Alles tummelt im Freien sich hier: der geschäftige 
Garkoch siedet, er fürchtet den seltenen Regen nicht; 
Ihn umgibt ein Matrosengeschwader, die heiße Kost 
Schlingend gieriges Muts. An die Ecke der Straße dort 
Setzt ihr Tischchen mit Kupfermoneten die Wechslerin, 
bOo Hier den Stuhl der gewandte Barbier, und er schabt, nachdem 
Erst entgegen dem sonnigen Strahl er ein Tuch gespannt. 
Dort im Schatten die Tische des fertigen Schreibervolks, 
Stets bereit zu Bericht und Suppliken und Liebesbrief: 
Ob ein Knabe diktiere der fernen Ersehnten sein 
65 Seufzen oder ein leidendes Weib den verwiesenen 
Gatten tröste, verbannt nach entlegener Insel, ihn, 
Der sein freies Gemüt in dem untersten Kerker quält 
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