Vorwort.
Die griechisch-römische Kulturwelt ist das Großartigste und Bedeutendste,
was die ganze Weltgeschichte uns bietet. Sie umfaßt einen Zeitraum von
beinahe 112 Jahrtausenden. Kultur und Zwilisation ist so vielseitig,
wird auf eine solche Höhe gebracht, daß man höchstens in der neuesten
Geschichte ein Gegenstück dazu besitzt. Es ist eine Kultur und Zivilisation,
die wir in allen ihren Zweigen von den einfachsten Anfängen allmählich
zur höchsten Vollendung wachsen und dann wieder abnehmen und schwinden
sehen; ein in sich völlig abgeschlossenes Bild, wie die Geschichte kein zweites
kennt.
Wichtiger aber ist, daß durch eine wunderbare Verschiebung, zugleich
durch einen gewaltigen, viele Jahrhunderte dauernden Gärungsprozeß
wir Germanen die Erben dieser Kultur geworden sind. Alles,
was wir heute sind, wurden wir dadurch, daß wir in den letzten sechs
Jahrhunderten Stück um Stück dieses herrenlose Erbe antraten. Wenn
aber für irgend einen Besitz, dann gilt für diesen das Dichterwort:
„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.“
Unser Anschauen und Denken, unser Leben in Staat und Gesell—
schaft, unser Eigenstes in Kunst und Wissenschaft und Religion ist durch
tausend Fäden mit dem Altertum verbunden. Unsere Jugend soll und
darf nicht die wichtigsten Errungenschaften langer und schwerer Geistes—
arbeit blasiert als etwas Selbstverständliches hinnehmen; sie muß die Ent—
wicklung, das Ringen und Arbeiten des Menschengeistes verstehen lernen.
Es gilt den historischen Sinn zu wecken, um der Gefahr einer einseitigen
Gegenwartsbildung vorzubeugen.
Auf die Frage, ob es denn überhaupt nötig sei, daß die Schüler
der Realanstalten sich mit dem klassischen Altertum beschäftigen, antworte
ich deshalb mit einem entschiedenen „Ja“.
„Dem Gymnasium muß neben dem Realgymnasium und der Ober—
realschule seine Gigenart gewahrt werden“; das ist auch meine Ansicht.
Aber es darf nicht eine tiefe Kluft zwischen den verschiedenen Bildungs—
anstalten entstehen; vielmehr müssen recht viele Brücken hinüber und her—