Mus cem Vorworf zur vierfen Anflage.
Das fortdauernde Wohlwollen, welches auch die sehr starke dritte Auflage
so rasch hat vergreifen laßen, hat dem Herausgeber Gelegenheit geboten, noch
einmal alle Gedichte sorgfältig zu prüfen, weniger werthvolle durch beßere zu
ersetzen und einige, namentlich neuere, nachzutragen. An dem ursprünglichen
Plane, nach welchem die besten Gedichte der neuesten Zeit den größten Theil
des Buches einnehmen sollten, ist auch dießmal ebenso wenig gerüttelt worden,
wie an der zuerst getroffenen Anordnung, welche, im allgemeinen vom Leichteren
zum Schwereren steigend, die verwandten Produkte der verschiedenen Dichter neben
einander stellt, wodurch sich von selber die Schnur ergab, auf welche sich Perle
an Perle reihen ließ.“ Es ist namentlich auch von F. Freiligrath,
freundlich anerkannt worden, und jahrelanger eigener Gebrauch hat mir's bestätigt,
daß das Buch, wenn auch vornehmlich, so doch nicht ausschließlich zum Lesen
und Deklamieren wie zur häuslichen Leklüre sich eigne, sondern daneben noch recht
als Beispielsammlung zur Literaturgeschichte dienen könne. Indem es zunächst
kleine Proben bringt aus der altdeutschen Zeit, diese mit der Übersetzung; indem es
sodann eine reichere Auswahl giebt aus der mittelhochdeutschen Periode, namentlich
von dem edlen Walther von der Vogelweide, welche Gedichte alle entweder durch
Noten, oder, bei dem Nibelungenliede und der Gudrun, durch Übersetzung dem
Verständnis näher gerückt sind, indem es ferner die nennenswerthesten neuhoch—
deutschen Dichter, die Geeignetes darbieten, in ziemlicher Vollständigkeit, die Dichter
der Gegenwart möglichst alle nsnsruen sucht; indem es endlich auch die mund—
artliche Dichtung sammt dem Kirchenliede so weit berücksichtigt, wie die enggezogenen
Grenzen, einer solchen Sammlung es gestatten: so gewährt es allerdings einen
raschen Überblick über unsere poetische Literatur. Seine Brauchbarkeit in dieser
Beziehung ist bei der gegenwärtigen Auflage noch durch genaue Revision der
seit nun zwölf Jahren von mir gesammelten biographischen Notizen zu erhöhen
gesucht, und ich glaube, daß diese, insbesondere betreffs der lebenden Dichter, so
zuverlüßig nicht leicht anderswo angetroffen werden. Doch erlaube ich mir wieder⸗
holt die Bemerkung, daß der lr er Zweck gegen den mir wichtiger er⸗
schienenen hat zurücktreten müßen: der weiblichen Jugend Geeignetes zu bieten.
— Schließlich wünsche ich nur noch, daß die vorliegende Sammlung sich
der Worte immer würdiger erweisen möge, mit denen Karl Goedeke den ersten
Ausflug des Buches begleitete, und in denen es u. a. heißt: Ohne den Werth
der für den Haus- und Schulgebrauch, für die Belehrung oder den Lurxus be—
stimmten Gedichtsammlungen in irgend einer Weise zu überschätzen, glaube ich
doch diesen Zweig der Literatur als ein sehr vorzügliches Mittel der allgemeineren
poetischen Bildung der Gegenwart bezeichnen zu dürfen. Werke dieses Faches
führen das Beßere, was alte und neue Zeit geschaffen, das Neue, was in ent—
legenen Gebieten aufblüht, das Schöne, über das sich schon der Staub der
Vergeßenheit lagerte, neu oder aufs neue in den täglichen Verkehr ein und laßen