Full text: Die Freiheitskriege in Lied und Geschichte

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Das preußische Volk und Heer im Jahre 1813. 
Aus E. M. Arndts 
„Schriften für und an seine lieben Deutschen“. 
Die Aufgebote des Königs wegen der Landwehr und des Landsturms 
waren Funken, die in ein Pulverfaß fielen. Man kann sagen, das ganze 
oreußische Bolk flog auf wie Pulver. Kaum war der königliche Wille erschol⸗ 
len, so erkannte das Bolk ihn durch die Art, wie es gehorchte, ja, wie es 
dem königlichen Befehl vorauslief, als seinen Willen. Von Memel bis 
HDemmin, von Kolberg bis Glatz war dann nur eine Stimme, e in 
Sefühl, e in Zorn und eine Liebe, das Vaterland zu retten, Deutsch- 
land zu befreien und den französischen Übermut einzuschränken. Krieg woll⸗ 
en die Preußen, Gefahr und Tod wollten sie; den Frieden fürchteten sie, 
veil sie von Napoleon keinen ehrenvollen und preußischen Frieden hoffen 
konnten. „Krieg! Krieg!t“ schallte es von den Karpathen bis zur Ostsee, 
von dem Rjemen bis zur Elbe; „Krieg!“ rief der Edelmann und Land⸗ 
bewohner, der verarmt war; „Krieg!“ der Bauer, der sein letztes Pferd 
unter Vorspannen und Fuhren tot trieb; „Krieg!“ der Bürger, den die 
kinquartierungen und Abgaben erschöpften; „Krieg!“ der Tagelöhner, der 
keine Arbeit finden konnte; „Krieg!“ die Witwe, die ihren einzigen Sohn 
ins Feld schickte; „Krieg!“ die Braut, die den Bräutigam zugleich mit 
Tränen des Stolzes und des Schmerzes entließ. Jünglinge, die kaum wehr⸗ 
haft waren; Männer mit grauen Haaren und wankenden Knieen; Offiziere, 
bie wegen Wunden und Verstümmelungen lange ehrenvoll entlassen waren; 
reiche Gutsbesitzer und Beamte, Väter zahlreicher Familien und Verwalter 
weitläuftiger Geschäfte, in Hinsicht jedes Kriegsdienstes entschuldigt, wollten 
sich selbst nicht entschuldigen; ja selbst Jungfrauen, unter mancherlei Ver⸗ 
tellungen und Verlarvungen, drängten sich zu den Waffen; alle wollten 
sich üben, rüsten und für das Vaterland streiten und sterben. Preußen 
war wieder das Sparta geworden, als welches seine Dichter es einst besangen; 
jede Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf schallte von Kriegslust und Kriegs⸗ 
musik und war in einen Übungs- und Waffenplatz verwandelt; jede Feueresse 
war eine Waffenschmiede. Das war das Schönste bei diesem heiligen 
Eifer und fröhlichen Gewimmel, daß alle Unterschiede von Ständen und 
Klassen, von Altern und Stufen vergessen und aufgehoben waren; daß 
jeder sich demütigte und hingab zu dem Geschäft und Dienst, wo er der 
brauchbarste war; daß das e in e große Gefühl des Vaterlandes und seiner 
Freiheit und Ehre alle anderen Gefühle verschlang, alle anderen sonst er⸗ 
laubten Rücksichten und löslichen Verhältnisse aufhob. Die Menschen fühl- 
ten es, sie waren gleich geworden durch das lange Unglück; sie wollten auch 
gleich sein im Dienst und im Gehorsam. And so sehr erhob die große Pflicht 
und das gemeinsame Streben, wovon sie beseelt waren, alle Herzen, daß 
das Niedrige, Gemeine und Wilde, dem in getümmelvollen Zeiten der
	        
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