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unterworfen und das an vielen Stellen entvölkerte Land an römische
Ansiedler und ausgediente Soldaten verteilt, die nach römischer weise
lebten. Zwar waren Millionen von Menschenleben gewaltsam vernichtet
worden, doch wurden die Germanen in diesem Zeitraum durch die bei
und neben ihnen wohnenden Fremdlinge und Feinde mit so vielen
Gütern einer höheren und besseren Lebenshaltung bekannt, daß diese
Jahrhunderte nicht allein für den Acker- und Gartenbau sondern
auch für die Verbesserung des Wohnungswesens von der höchsten Be¬
deutung waren und ganz außerordentlich viel zur Verfeinerung unseres
Volkes beigetragen haben. Für die ihnen neu zugebrachten Dinge
hatten aber unsere vorfahren keine eigenen Namen. Auch sie ver¬
wendeten daher die Wörter, die die eingewanderten römischen Ansiedler
und die römisch sprechenden tegionssoldaten dafür gebrauchten. Aller¬
dings banden sie sich nicht sklavisch an die römische Form, sondern
bildeten sie den Sprechgewohnheiten ihrer Zunge gemäß um; daher
haben diese ursprünglichen Fremdlinge heute ein durchaus deutsches
Gepräge, von den Römern lernten die Germanen das veredeln und
Pfropfen(propa§are — verlängern). von ihnen erhielten sie die Kirsche
cerasus), Pflaume (prunus), Pfirsich (persica), Birne (pirus). Durch
Römer wurden sie mit der Anlage und Behandlung von Obstgärten
und mit den Hülsenfrüchten: der Wicke (vicia), Linse (lens) bekannt. Line
große Bereicherung an Gemüsearten, Küchen- und Gewürzkräutern erfuhr
der Garten der Germanen durch alle Arten von Kohl (caulis), vorzugsweise
durch den „Kappeskohl" (capuceus caulis) oder das Kappeskraut, später
kurzweg Kraut genannt. Diese pflanze wurde in der Folge von höchster
Bedeutung für ihren Haushalt. Die Bereitung des Sauerkrauts ist eine
durchaus den Germanen angehörige Erfindung. Dadurch, daß man das
zerkleinerte Kohlblatt mit Salz behandelte, gewann man ein für lange Zeit
haltbares Gemüse, das durch das Fett des Schweinefleisches den bekannten
Wohlgeschmack erlangt und es sozusagen zum Volksgericht der gesamten
Deutschen werden ließ. Diese Entwicklung wurde durch das kältere Klima
unseres Landes wesentlich begünstigt; unter den wärmeren Himmelsstrichen
der Romanen war sie nicht gut möglich, da das Kraut dort zu bald in
Fäulnis übergeht, wahrscheinlich hatten unsere Urväter schon längere
Zeit vorher ihre wohl noch geringwertigen Rübenarten in ähnlicher
weise für den Winter zubereitet und diese Behandlung dann mit Erfolg
auf das Kohlblatt übertragen. Noch andere römische Gewächse fanden
im Laufe der Jahrhunderte in den germanischen Hausgärten, die erst
seit jener Zeit nach römischer Art angelegt und bebaut wurden, gastliche
Aufnahme; so der Salat (insalata), der Kürbis (cucurbita) und die
Kukumer (cucumis), der Kümmerling, die „Kümmerli", sowie der
Rettich (rattix) und die Zwiebel (cepulla). Es ist klar, daß die Aufnahme
all dieser Fremdlinge nur ganz allmählich sich vollzog und daß Jahr¬
hunderte notwendig waren, bis sie überall in Deutschland heimisch wurden