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Volkskraft ein, als das Reich schon zur Ohnmacht herabgesunken war. Erst
als der deutsche Handel erlahmte, erkannten die auswärtigen Mächte klar die
Schwäche Deutschlands. Überall hielten die Hansischen heimische Sitte und
Sprache fest und duldeten keine Mischung mit den Fremden. Klagten doch die
in Skandinavien angesessenen Deutschen, daß die Hansischen sie nicht für voll
ansehen wollten. Ortsnamen der fremden Länder wurden dem deutschen Munde
zurecht gemacht. Als die Lübecker einmal den englischen König Heinrich VI.
ärgern wollten, schrieben sie ihm einen Brief in deutscher statt der im staat¬
lichen Verkehr damals üblichen lateinischen Sprache. Was die Hansischen auch
leisteten, führten sie stolz auf deutsche Art zurück und sahen in ihr die starken
Wurzeln ihrer Kraft. So senkte die Hanse ein Reis deutschen Sinnes in das
Herz unseres Volkes, das auch die traurigsten Zeiten nicht gänzlich ausrotten
konnten.
Vieles von dem, was die Hanse geleistet hat, ist zugleich Verdienst des
deutschen Gesamtbürgertums und an allen Städten zu Preisen: die vielseitige
Hebung der Lebensführung, die Entfaltung des Handwerks, die Förderung der
Kunst und der geistigen Kraft. Die Hanse stützte diese gewaltige Arbeit in
Norddeutschland und festigte den Grundkern des Bürgertums, so daß er un¬
zerstörbar die Not späterer Zeiten überdauerte. Was wäre in Westpreußen
und in den Ostseeprovinzen vom Deutschtum übrig geblieben, wenn es nicht
die Bürgerschaften allzeit bewahrt hätten? Und haben nicht einzelne hansische
Städte das Werk des Bundes fortgeführt, so daß Hamburg und Bremen dem
neuentstehenden deutschen Seehandel förderlich sein konnten?
Die Erinnerung an bessere Geschicke gehört zu den Kräften, welche Menschen
und Völker im Unglück aufrecht erhalten. Als das deutsche Volk in Sehnsucht
entbrannte nach neuer Größe, nach einem mächtigen Vaterlande, lenkte es die
Blicke zurück auf seine Geschichte und fand in ihr Trost und Hoffnung, die
Bürgschaft einer neuen Zukunft. Da war es vor allem die Hanse, die wie ein
Leitstern in dunkler Nacht strahlte. Was die Vorfahren vermocht hatten, konnte
den Enkeln nicht versagt sein, denn ihr Fleisch und Blut war noch dasselbe.
In einer Zeit, in der die See allen anderen Völkern, nur nicht den Deutschen,
gehörte, lehrte das Bild der Hanse, was vor allen Dingen not sei. Das Be¬
gehren nach einer deutschen Flotte stand obenan in den nationalen Wünschen,
und so oft die Begeisterung emporflammte, ging sie daran, den kühnen Traum
zu verwirklichen, und jeder Fehlschlag bestärkte nur die vorwärts führende
Überzeugung.
Wunderbar, wie die natürliche Anlage der Völker unter allen Wandlungen
und Jrrgängen ihrer Schicksale bestehen bleibt! Sie bereichert sich, verarmt
auch zeitweilig, sie paßt sich neuen Zuständen an, entwickelt die eine Seite
stärker als die andere, nimmt auf und scheidet aus, aber der Volkscharakter
kommt unter allen Überschüttungen stets wieder zum Vorschein. Daher ist
jedem Volke die eigene Geschichte die beste Lehrmeisterin. Die Hanse ist so
recht das Erzeugnis des deutschen Volkes, wie es sich zum selbständigen Sein
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