Borwort zur ersten Auflage.
don SE Ph. Wackernagel geschehen ist, auf die metrischen Unter—
schiede Gedichte. So zweckmäßig dies in spezieller Lehrbeziehung
sein mnn 5 tritt doch dem Leser solcher Gedichtesammlungen ein sehr
fühlbarer cbelstand darin entgegen, daß er hier die verschiedenen Pe—
rioden und Bildungsstufen der Poesie ganz vermischt findet und von
dieser Seite Belehrung und Uebersicht nicht hoffen darf, ja zu einer
richtigen ästhetischen Schätzung der einzelnen Gedichte unmöglich ge—
langen kann. In der That, wie klein und empfindungsarm muß ein
Uedchen von Weiße oder Gleim neben einem Liede von Goethe, wie
schwunglos ein didaltisches Gedicht von Uz oder Cronegk neben einem
philosophischen Lehrgesange Schillers, wie kühl und leer ein geistliches
Lied von Gellert neben einer Hymne von Novalis, wie polternd und
grob eine Ballade von Bürger neben einer ätherischen Romanze Uhlands,
wie holpricht oder lahm eine Ode von Ramler oder Klopstock neben dem
gegliederten Sprachkunstwerle eines Voß und noch mehr eines Platen
ascheinen! VDleiben dagegen jene Gedichte mit der Wurzel in dem hei⸗
mathlichen Zeitboden, und athmet man den Duft ihrer Blüthen mit
der Atmosphäre selbst ein, in welcher sie sich entwickelt haben, so for⸗
dert man nicht das Unmögliche von ihnen; man begreift, warum sie
so und nicht mehr geworden sind, und wie sie von einem Geschlechte,
das in Geistes und Sprachbildung gewiß im Durchschnitt eher unter
als über seinen Süngern stand, auch in ihrer Unvollkommeuheit be—
wundert werden konnten.
Diese Betrachtung ist es hauptsächlich, welche den Herausgeber zu
der Ordnung bestimmt hat, in der die deutschen Lieder erscheinen, die
den Entwicklungsgang, den die Liederdichtung bei den Deutschen seit
hundert Jahren und drüber genommen hat, in ausgewählten Proben
veranschaulichen möchte.
Die Sammlung zerfällt in fünf Bücher. Das erste beginut mit
dem Wiederaufblühen der schönen Literatur in Deutschland und giebt
ein Bild der poetischen Bestrebungen Hallers, Hagedorns, des
Leipziger und allischen Dichtervereines, so wie der von
solchen Führern „er und dort in Deutschland angeregten Sänger.
In dieser Periode hatte die Poesie noch zu viel mit der Sprache zu
ringen, als daß sie sich in eigentlicher Unabhãngigkeit hätte fühlen
tbunen, und sie tritt fast nur im Lehrgedichte, wo sie sich auf die da⸗
mals in Jugendkraft herrschende Leibnitz -Wolf sche Philosophie stützen
pnnte, mit eigenthümlicher Kraft und Würde auf. Man wird es
hicht tadeln, daß die didaktische Poesie in den Proben dieses