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alles gewährt dem Bewohner des hohen Nordens einzig und allein das Renn¬
tier. Dasselbe erreicht die Größe einer kleinen Kuh, nur wird es ani Leibe
nicht so dick. Die Behaarung ist im Sommer bräunlich und kürzer, im Winter
länger, hellgrau bis weißlich. Die Augen sind groß und schön. Ans dem
Kopfe tragen Männchen und Weibchen ein stattliches Geweih, dessen Endsprossen
schaufelartig erweitert sind. Die Gliedmaßen sind dicker, plumper und niedriger
als bei Rehen und Hirschen und haben verhältnismäßig sehr große, breite
flach gedrückte Hufe. Die Renntiere nähren sich von allerlei Pflanzen, selbst
von Ftiegenschwämmen, im Winter aber ausschließlich von der Renntierflechte,
die sie unter dem Schnee suchen. Für die europäischen Polarvölker ist das
Renntier zum unentbehrlichsten Haustier geworden. Alles wird von ihm be¬
nützt; Milch, Blut und Fleisch als Nahrung, die Haut zu Leder- und Pelz¬
werk, die Sehnen zu Zwirn, die Gedärme zu Stricken, die Knochen und Ge¬
weihe zu Waffen und Geräten; außerdem dient das Renntier als Zug und
Lasttier, seltener als Reittier. Um die Bedürfnisse einer aus 4 erwachsenen
Personen bestehenden Familie zu befriedigen, soll eine Renntierherde von 400
Stück erforderlich sein.
Reh und Renntier unterscheiden sich von den Horntieren besonders dadurch,
daß sie keine hohlen, glatten, bleibenden Hörner haben, sondern ein verästeltes Ge¬
weih tragen, welches sie jedes Jahr abwerfen und wieder erneuern. Sie bilden
in der Ordnung der Wiederkäuer die Familie der Hirsche; denn das am schönsten
gestaltete Tier (von vielen geradezu als das schönste aller Tiere erklärt) ist der
Edel- oder Rothirsch, der in allen größeren Wäldern Europas, den Norden
ausgenommen, rudelweise zu treffen ist. Wer in Württemberg stattliche Edelhirsche
sehen will, muß den Schönbuch und die Parkanlagen der Solitüde besuchen.
Der Damhirsch, den man leicht an dem rötlichbraunen, weißgetüpfelten
Fell erkennt, und der stattliche Elch, auch Elen oder Elentier genannt, im
Norden Europas, Asiens und Amerikas haben schauselförmige Geweihe. Zur
Hirschfamilie zählen ferner das Moschustier und die Giraffe.
21. Das Kamel.
(Leseb. II, 48.)
Die Kamele sind große mißgestaltete Tiere, aber ganz und gar für die
Wüsten- und Steppenländer Afrikas und Asiens geschaffen. Es gibt zwei Arten:
das afrikanische Kamel oder Dromedar mit einem Fetthöcker in
der Mitte des Rückens und das asiatische Kamel oder Trampeltier
mit zwei Fetthöckern. Abgesehen,,von diesem sehr ins Auge fallenden Unter¬
schied zeigen beide Arten große Übereinstimmung in Körperbau, Lebensweise
und Verwendung. Das Kamel wird größer als ein Pferd und ist mit rötlich¬
grauem oder sandgelbem, wolligem Haar bedeckt, welches sich an der Kehle,
vorn am Halse, im Nacken und auf dem Fetthöcker stark verlängert. An dem
verhältnismäßig kleinen Kopf fallen besonders die kleinen schläfrigen Augen,
die kurzen, abgerundeten Ohren und die gespaltene Oberlippe auf. Das Ge¬
biß zeigt insofern eine Abweichung von dem der andern Wiederkäuer, als Eck¬
zähne und oben auch zwei Vorderzähne vorhanden sind. An jedem Fuß sind
nur zwei mit kurzen Hufen versehene Zehen; die Afterzehen fehlen. Die Sohle
ist mit einer schwieligen Hornhaut gepolstert, welche vor dem Einsinken in
den losen Sand schützt. Das Kamel ist sehr genügsam und nimmt mit dem
geringsten Futter vorlieb. Die Kamelstute wirft jährlich ein Junges; dieses