Full text: Was die Zeiten reiften

S57 
Mein Ohr umtönt ein Harmonienfluß, 
der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen, 
die Blume neigt sich bei des Westes Kuß, 
und alle Wesen seh ich Wonne tauschen; 
die Traube winkt, die Pfirsche zum Genuß, 
die üppig schwellend hinter Blättern lauschen; 
die Cuft, getaucht in der Gewürze Flut, 
trinkt von der heißen Wange mir die Glut. 
Hör ich nicht Tritte erschallen ? 
Rauschts nicht den Caubgang daher ? 
Nein, die Frucht ist dort gefallen, 
von der eignen Fülle schwer. 
Des Tages Flammenauge selber bricht 
in süßem Tod, und seine Farben blassen; 
kühn öffnen sich im holden Dämmerlicht 
die Kelche schon, die seine Gluten hassen. 
Still hebt der Mond sein strahlend Angesicht, 
die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen; 
der Gürtel ist von jedem Reiz gelöst, 
und alles Schöne zeigt sich mir entblößt. 
Seh ich nichts Weißes dort schimmern ? 
Glänzts nicht wie seidnes Gewand ? 
Nein, es ist der Säule Flimmern 
an der dunkeln Taxuswand. 
O sehnend Herz, ergötze dich nicht mehr, 
mit süßen Bildern wesenlos zu spielen! 
Der Arm, der sie umfassen will, ist leer, 
kein Schattenglück kann diesen Busen kühlen. 
O führe mir die Lebende daher, 
laß ihre Hand, die zärtliche, mich fühlen! 
Den Schatten nur von ihres Mantels Saum — 
und in das Leben tritt der hohle Traum. 
Johann Christoph Friedrich Schiller.
	        
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