Full text: Was die Zeiten reiften

Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug, 
ein Schiffer warf die Netze frei, 
und als er ruhte vom schweren Zug, 
fragt ich, seit wann das Meer hier sei? 
Er sprach und lachte meinem Wort: 
Solang als schäumen die Wellen dort, 
fischt man und fischt man in diesem Port. 
Und aber nach fünfhundert Jahren 
kam ich desselbigen Wegs gefahren. 
Da fand ich einen waldigen Raum 
und einen Mann in der Siedelei, 
er fällte mit der Axt den Baum; 
ich fragte, wie alt der Wald hier sei? 
Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort; 
schon ewig wohn ich an diesem Ort, 
und ewig wachsen die Bäume hier fort. 
Und aber nach fünfhundert Jahren 
kam ich desselbigen Wegs gefahren. 
Da fand ich eine Stadt, und laut 
erschallte der Markt vom Volksgeschrei. 
Ich fragte: Seit wann ist die Stadt erbaut ? 
Wohin ist Wald und Meer und Schalmei? 
Sie schrien und hörten nicht mein Wort. 
So ging es ewig an diesem Ort 
und wird so gehen ewig fort. 
Und aber nach fünfhundert Jahren 
will ich desselbigen Weges fahren. 
G 
Mitternacht. 
Um Mitternacht 
hab ich gewacht 
und aufgeblickt zum Himmel; 
kein Stern vom Sterngewimmel 
hat mir gelacht 
um Mitternacht. 
Friedrich Rückert. 
206
	        
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