Full text: Auswahl deutscher, französischer und englischer Gedichte

— 64 — 
. Und wie er Boden faßte, fand er da 
Sich einsam in der Mitte räum'ger Hallen, 
Wo ringsum sonder Zahl er Kreuze sah. 
10. Und eine Stimme hört' er dröhnend hallen: 
„Hier aufgespeichert ist das Leid; du hast 
Zu wählen unter diesen Kreuzen allen.“ 
11. Versuchend ging er da, unschlüssig fast, 
Von einem Kreuz zum anderen umher, 
Sich auszuprüfen die bequemre Last. 
12. Dies Kreuz war ihm zu groß und das zu schwer; 
So schwer und groß war jenes andre nicht, 
Doch, scharf von Kanten, drückt' es desto mehr. 
13. Das dort, das warf wie Gold ein gleißend Licht, 
Das lockt' ihn, unversucht es nicht zu lassen; 
Dem goldnen Glanz entsprach auch das Gewicht. 
14. Er mochte dieses heben, jenes fassen, 
Zu keinem neigte noch sich seine Wahl, 
Es wollte keines, keines für ihn passen. 
15. Durchmustert hatt' er schon die ganze Zahl — 
Verlorne Müh'! Vergebens war's geschehen! 
Durchmustern mußt' er sie zum andern Mal. 
16. Und nun gewahrt' er, früher übersehen, 
Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu sein, 
Und bei dem einen blieb er endlich stehen. 
17. Ein schlichtes Marterholz, nicht leicht, allein 
Ihm paßlich und gerecht nach Kraft und Maß. 
„Herr,“ rief er, „so du willst, dies Kreuz sei mein!“ 
18. Und wie er's prüfend mit den Augen maß — 
Es war dasselbe, das er sonst getragen, 
Wogegen er zu murren sich vermaß. 
Er lud es auf und trug's nun sonder Klagen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.