Full text: Die Poesie in der Schule

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35. Gudruns Klage. E. Geibel. 
Meue Gedichte 1873. S. 166.) 
1. Nun geht in grauer Frühe Und so sie hold gebaren, 
Der scharfe Märzenwind, Wie Spinnweb acht ich's nur; 
Und meiner Qual und Mühe Ich will getreu bewahren 
Ein neuer Tag beginnt. Mein Herz und meinen Schwur. 
Ich wall hinab zum Strande 
Duͤrch Reif und Dornen hin, 5. O Ortwin, trauter Bruder, 
Zu waschen die Gewande O Herwig, Buhle wert, 
Der grimmen Königin. Was rauscht nicht euer Ruder, 
Was klingt nicht euer Schwert! 
2. Das Meer ist tief und herbe, Umsonst zur Meereswüste 
Doch tiefer ist die Pein, Hinspäh' ich jede Stund'; 
Von Freund und Heimatserbe Doch naht sich dieser Küste 
Allzeit geschieden sein; Kein Wimpel, das mir kund. 
Doch herber ist's zu dienen 
In fremder Mägde Schar, 6. Ich weiß es: nicht vergessen 
Und hat mir einst geschienen Habt ihr der armen Maid; 
Die güldne Kron im Haar. Doch ist nur kurz gemessen 
Dem steten Gram die Zeit. 
3. Mir ward kein guter Morgen, Wohl kommt ihr einst zu sühnen, 
Seit ich dem Feind verfiel; Zu retten, ach! zu spät, 
Mein' Speis' und Trank sind Sorgen, Wann schon der Sand der Dünen 
Und Kummer mein Gespiel. Um meinen Hügel weht. 
Doch berg' ich meine Thränen 
In stolzer Einsamkeit; 7. Es dröhnt mit dumpfem Schlage 
Am Strand den wilden Schwänen Die Brandung in mein Wort, 
Allein sing' ich mein Leid. Der Sturm zerreißt die Klage 
Und trägt beschwingt sie fort. 
4. Kein Dräuen soll mir beugen O möcht er brausend schweben 
Den hochgemuten Sinn! Und geben euch Bericht: 
Ausduldend will ich zeugen, „Wohl lass' ich hier das Leben, 
Von welchem Stamm ich bin. Die Treue lass' ich nicht!“ 
36. Der Jüngling. Christian Fürchtegott Gellert, 
geb. 1715 zu Hainichen in Sachsen, lebte als Professor in Leipzig und starb daselbst 1760. 
Gabeln u. Erzählungen. Leipzig 1871. S. 106.) 
1 Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört, 
In der der Segen wohnen sollte, 
Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte. 
„Dorl,“ sprach er oft, „sei dir dein Glück beschert!“ 
h ðr nahm die Reise vor und sah schon mit Vergnügen 
Die liebe Stadt auf einem Berge liegen. 
„Gottlob!“ fing unser Jüngling an, 
„Daß ich die Stadt schon sehen kann; 
Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen!“ 
10 Ein fruchtbar Thal stieß an des Berges Fuß; 
Die größte Menge schöner Früchte 
Fiel unserm Jüngling ins Gesichte. 
O. dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß, 
So will ich, meinen Durst zu stillen, 
Den Reisesack mit solchen Früchten füllen.“ 
Er aß und fand die Frucht vortrefflich von Geschmack 
Und füllte seinen Reisesack. 
Er stieg den Berg hinan und fiel den Augenblick 
Beladen in das Thal zurück.
	        
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