Full text: Die Poesie in der Schule

59 — 
„O du Schirmvogt der Verlasssen! 50 Noch zu morden unsern Vater! 
O du Hüter der Verlornen! Wüßt' ich, wo ein Räuber wäre, 
Neig, o neig dein himmlisch Antlitz, Wollt' ich ihm dies Kettlein geben, 
Sonnenhelle, selig lächelnd, Dieses Kreuz und diesen Gürtel, 
2 Nieder auf uns arme Kleine! Sprechend: Lieber, lieber Räuber, 
Breit, o breit die lieben Arme, 55 Nimm hier Kettlein, Kreuz und Gürtel 
Die du ausgespannt am Kreuze, Daß Du nicht zu plündern brauchest, 
Wie zween Ruglein um den Vater. Noch zu morden unsern Vater!“ 
Daß kein Sturm den Pfad zerwühle, Und der Räuber hört es alles 
39 Daß sein gutes Roß nicht strauchle, Hinterm hohen Kruzifixe. 
Vicht der Räuber stumm und lauernd, 80 Und von ferne hört er's nahen: 
In der Waldschlucht ihn entdecke! Rosse shnanben Rader rolen; 
O du Schirmvogt der Verlassnen, Qngsan grefft nach dem Subel 
O du Hüler der Verlornen, nn vine? 
3 gsam faßt er nach der Büchse, 
z Führ uns heim den guten Vater! nde so steht er lange finnend 
Und der uen e alles 5 Hinterm hoͤhen Kruzifixe. 
rm hohe 
inerm bohrn zifile Niederknieen noch die Kinder: 
Drauf der Kleinste, sich bekreuzend, „O du Schirmvogt der Verlassnen! 
Fromm die zarten Hände faltend: O du Hüter der Verlornen 
0 ieber Christe!“ lallt er kindisch, Führ uns heim den guten Vater!“ 
„Ja, ich weiß, du bist allmächtig, 70 Und der Vater kommt gefahren, 
Sitzend auf des Himmels Thronen Wohlbehalten, ungefährdet, 
Unter Sternen, glänzend goldnen, Schließt die Kinder an den Busen, 
Unter Englein, leblich lustl'gen, Selig Stammeln, süße Küsse — 
Wie die Mutter mir's erzählt hat: Und kein Räuber ward gesehen! 
O sei gnädig, lieber Christe! 75 Nur den blanken Säbel fand man, 
Gieb den Räubern, den verwegnen, Fand die Büchse, scharf geladen, 
Brot gieb ihnen, Brot in Fülle, Hinterm hohen Kruzifixe 
Daß sie nicht zu plündern brauchen, Beide waren ihm entsunken. 
110. Verzage nicht! Oskar v. Redwitz, 
1828 zu Lichtenau im Ansbachschen geboren, studierte in Münghen, Bonn u. Wien und lebt auf seinem 
Landhause bei Meran in Trol. 
(Aus: „Amaranth.“ Mainz 18651.) 
1. Ich höre leis den Baum mich fragen: 3. Und aus dem Bächlein hör' ichs 
„Was ist dein Herz so gramverstimmt? sprechen: 
Ich will ja auch darum nicht klagen, „Was weinest du? Verzage nicht! 
Daß mir der Herbst die Blätter nimmt! Ich muß durch Kluft und Dornen brechen, 
2. Denn wie mir Gott zur rechten Und komnme doch am End ans Licht. 
Stunde 4. Viel goldner aus der Klüfte Dunkeln 
Die Blätter nimmt und wieder leiht, Mir dann das Licht des Tages scheint; — 
So schlagt und heilt des Herzens Wunde So wird die Freude sel ger funkeln 
Auch dir dein Gott zur rechten Zeit.“ Dereinst aus Augen trübverweint.“ 
111. Sommerlied. Robert Reinick, 
1805 zu Danzig geboren, widmete sich der Malerei, verweilte einige Jahre in Italien, siedelte spãter 
nach Dresden über und starb 1852. 
(Mãrchen⸗, Lieder⸗ und Geschichtenbuch 1876. S. 146) 
1. Wann der Frühling vorbei, 3. Hat der Frühling sich Blumen 
Kommt der Sommer heran; — Ums Hütlein gethan, 
War der Frühling ein Kind, Steckt der Sommer sich Kirschen 
Ist der Sommer ein Mann. Und Erdbeeren dran. 
2. War dem Frühling sein Wämschen 4. Und weinte der Frühling 
Schon lustig genug, Da gab's einen Regen; 
Ist dem Sommer sein Rock Und brummt der Herr Somme. 
Mehr von gelblichem Tuch. Da aiebt's einen Segen.
	        
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