Full text: Erlebnisse und Darstellungen aus dem Jahre 1915 ([Heft 2], [Schülerband])

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unsere Abteilung zu folgen hatte, in Richtung des Kurhauses in der Nähe der 
scheinbar unbesetzten Batterien am Südstrande. Man erkannte deutlich den 
schönen, weißen Badestrand, die Anlagen, das Kurhaus und schräg davor einen 
ziemlich steilen, grünen Wall. „Dei scheeten wohl gor nich, die Russen?“ fragte 
ziemlich enttäuscht der Amerika-Fahrer. „Gewehre schußfertig, bereit zur Lan— 
dung!“ befahl der Leutnant zur See, der die Abteilung führte, und zog den Revolver. 
Wir waren jetzt etwa 300 Meter vom Strande. Da prasselte es los. Ich unter— 
schied deutlich den trockenen Ton eines Maschinengewehres: Teck, teck, teck. 
dazwischen kräftiges Schnellfeuer von Infanterie. Die Geschosse schlugen ein 
paar Meter von unserem Boot ein. „Dat gift dicke Luft“, sagte der Maat am 
Steuer. Wir suchten abzuschwenken, gleichzeitig legte sich ein Torpedoboot dicht 
an den Strand und fing an zu funken. Dann sauste es über unsere Köpfe; 
der kleine Kreuzer hinter uns fing an, die Linie mit Granaten zu belegen. Gleich 
der zweite Schuß schien in der Schanze zu sitzen. Die Aufgabe, die russischen Ver— 
teidigungsmittel aufzuklären, war erfüllt; wir kehrten zurück. 
6. An Vord unseres Kreuzers war man inzwischen feuerfertig, und auf 8000 Meter 
wurde der erste Schuß auf die Nordwerke nach Verabredung mit der Landarmee 
gelöst. Ich habe sehr große deutsche Landgeschütze und auch die österreichischen 
Motormörser im Feuergefecht gehört; hier auf dem Schiffe war die Schallwirkung 
von ganz anderen Maßen. Man dachte, trotz der Wattestopfen in den Ohren, das 
Trommelfell müsse springen, und der Feuerstrahl schien dicht neben einem auf— 
zuflammen trotz der Entfernung von zwei Meter. Der Kreuzer, auf dem ich stand, 
hatte die stärkste Bestückung!4 des hier angesetzten Teils der Ostseeflotte. Das Schiff 
zitterte, wenn die Riesenrohre sprachen, und ich konnte mir eine Vorstellung von 
einer Seeschlacht machen, wenn ich zu diesem Riesengetöse mir dachte, daß nun 
die bis achtzig Meter hohen Wassersäulen, die die Granaten des feindlichen Schiffes 
aufwarfen, dazu über Bord schlügen oder einer der Riesenzuckerhüte Brand und 
giftige Gase über das Deck ausbreitete. 
Schuß auf Schuß rollte nach den russischen Nordstellungen. Man sah die 
schwefelgelben Wolken beim Einschlag aufsteigen; vom Ausguck konnte man sehen, 
wie die alten Bäume der Waldstrecke, die unter Feuer stand, wie Streichhölzer 
zerbrachen und ganze Strecken entwurzelt wurden. Ich weiß nicht, wie die tat— 
sächliche Wirkung dieser Beschießung im einzelnen war; die moralische Wirkung 
muß ganz gewaltig gewesen sein. Am nächsten Morgen kam dann auch die Tele— 
funkenmeldung von den Landkräften, daß dank der tatkräftigen Unterstützung der 
Flotte Stadt und Festung Libau in deutschem Besitz wären. 
Rolf Brandt. (Der große Vormarsch 1915. Kriegsberichte von der Nordostfront. — Gelürzt.) 
Gerlag von Egon Fleischel & Co., Berlin.) 
8. Bei Hindenburg. 
1. Das erste Mal habe ich Hindenburg, damals noch General von Hindenburg, 
nach der Schlacht bei Tannenberg in Osterode gesehen. Der Sieger saß mit General 
Gruenert an einem kleinen Tisch vor dem Fenster; durch die Dmmerung fiel von
	        
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