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hat die Regierung in ihrem Pflichtgefühl das Volk unmittelbar nach
feinem Wilen zu befragen. Und diese Frage an das Volk geschieht
dann durch sofortige Auflösung des Reichstages und Ansetzung von
Neuwahlen. Diese Reichstagsauflösung tritt nun durch Beschluß des
Bundesrats unter Zustimmung des Kaisers ein.
In gleicher Weise müssen auch Kaiser und Bundesrat überein⸗
kommen, wenn das Deutsche Reich einen Krieg erklären will,
ohne daß das Reichsgebiet angegriffen ist.
Neben diesem Recht im Kriegsfalle stehen sich aber Kaiser und
Bundesrat im Frieden noch darin gleich, als sie beide Werk—
zeuge des Vollzuges der beschlossenen Reichs—
gesetze sind. Wenn Reichsgesetze beschlossen sind, so müssen sie auch
durchgeführt werden, und es muß daher Stellen geben, die darüber
wachen, daß das Reichsrecht auch wirklich geübt und streng durchge—
führt wird. Und dieser schwere Beruf fällt Kaiser und Bundesrat
gleicherweise zu.
3. Trafen wir somit auf hohe Pflichten, die dem Bundesrat allein,
oder Kaiser und Bundesrat gemeinsam zustanden, so müssen wir noch auf⸗
suchen, wo der Kaiser unabhängig, auch vom Bundesrat, seines hohen
Berufes waltet. Wir mögen uns ja als Deutsche keinen Kaiser denken,
der nur ein Schatten auf dem Thron wäre, und der nur dem Namen
nach ein Kaiser wäre. Ein deutscher Kaiser soll mehr sein, er soll
Rechte haben, die ihn auch wirklich an die Spitze des Reiches stellen.
Und in diesem Wunsche erfahren wir gern, daß der Deutsche
Kaiser insofern auch über dem Bundesrat steht, als er ihn bhe—
ruft und vertagt, als er ferner das Recht hat, die obersten
Reichsbeamten zu ernennen, vor allem den einzigen ver—
antwortlichen Staatsmann des Reichs, den Reichskanzler.
Durch dies Ernennungsrecht übt der Kaiser einen entscheidenden
Einfluß auf die Führung der Reichsgeschäfte aus. Dies Recht wird
uns aber noch bedeutender erscheinen, wenn wir uns vergegenwärtigen,
daß der vom Kaiser persönlich ernannte Reichskanzler auch immer
Vorsitzender im Bundesrat ist. So hat der Deutsche Kaiser schon als
solcher einen hoch zu bewertenden Einfluß auf den Bundesrat; am
meisten aber bedeutet er — auch im Bundesrat — sicher dadurch, daß er
der König von Preußen ist.
Da er nämlich als König von Preußen die preußischen Minister
nach eigenem Willen ernennt und entläßt, hat er auf die
preußische Regierung und infolgedessen auf die preußischen Stimmen
im Bundesrat entscheidenden Einfluß. Preußen war ja nun allerdings
bei der Reichsgründung in der Beanspruchung von Bundesrats⸗
stimmen sehr bescheiden; denn es konnte nach seiner Größe von allen
Slmmen mehr als die Hälfte beanspruchen, und es nahm doch nur
Don damals 568 Stimmen 17 Stimmen, aber dafür wurde Preußen
auch das Recht verbrieft, daß sein Veto (Einspruch) im Bundesrat
jegliche Vorlage von Bedeutung zu Fall bringt. Im Blick auf dies
preußische Recht werden wir vollends ermessen, wie gewaltig die Macht
des Ddeutschen Kaisers, wenn auch mittelbar als König von Preußen, im
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