§ 1. Die Anfänge der Kirchenverbesserung. Luther und Karl V. (—1521). 5
Luther, die öffentliche Meinung sprach sich so kräftig sür ihn ans, daß
die Verbreiter der Bulle an manchem Orte kaum ihres Lebens sicher
waren, und die Humanisten erhofften von dem kühnen Wittenberger
Mönche die Aufrichtung einer deutschen Nationalkirche. Mit den größten
Erwartungen wurde der neue Kaiser Karl V. begrüßt, der im Jahre Karls^Wahl
1519 von den Kurfürsten einstimmig gewählt war.
Karl V., der Sohn Philipps des Schönen (Maximilians und der
Maria von Burgund Sohn) und der Johanna, der Erbtochter Jsabellas
von Kastilien und Ferdinands des Katholischen von Aragonien, war nunmehr
der mächtigste Herrscher des Abendlandes; „in seinem Reiche ging die Sonne Karls v. Reich,
nicht unter". Als römischer Kaiser deutscher Nation waltete er über Deutsch¬
land, wo er die habsburgischen und burgundischen Länder als Hausmacht
besaß; Spanien mit seinen amerikanischen Eroberungen, Neapel, Sizilien
und Sardinien gehörten ihm als dem Könige von Kastilien und Aragonien.
Hätten alle diese Gebiete ein einheitliches, straff geordnetes Reich gebildet,
so wäre es ihm wohl möglich gewesen, sein Ziel, die Aufrichtung eines
habsburgischen Weltreiches, zu erreichen. Aber die Stände der einzelnen
Teile, zumal die auf ihre „uralte Freiheit" pochenden deutschen Fürsten,
und die Zerrissenheit des Ganzen verhinderten eine Entfaltung der ge¬
samten Macht.
Karl war 19 Jahre alt, als er die deutsche Krone erlangte. Man Karls Eigenart,
sah ihm nicht an, welche Stellung er einnahm. Sein schwächlicher Körper
hatte sich nur langsam entwickelt; nachdem er dann kaum einige Jahre eine
gewisse Kraft und Gewandtheit besessen, die ihn befähigten, am Turnier
und an der Jagd teilzunehmen, zeigten sich schon die Vorboten des Alters;
kränklich, früh ergraut und gebeugt, schritt der Kaiser einher; oft mußte er
sich in einer Sänfte tragen lassen. Dennoch besaß er alle die geistigen
Fähigkeiten, deren der Herrscher eines so großen Reiches bedarf, Thatkraft,
Einsicht, den Gegenstand umfassendes Urteil, große Rührigkeit und volle
Hingabe an seine schweren Pflichten. Dabei war er sehr sparsam und gab
selbst den Künstlern und Gelehrten, die er hochschätzte, keine kostspieligen
Aufträge. Er liebte eine gutbesetzte Tafel und zog sich nicht gerade selten
Unannehmlichkeiten durch Unmäßigkeit zu. Er fühlte sich nicht als Deutscher, ^Eland
ja, er konnte sich nicht einmal in der Sprache seines angestammten Volkes eu on
ausdrücken. So hatte er, kirchlich erzogen und überzeugt, daß es nur eine
Kirche in seinem Reiche geben dürfe, kein Verständnis für die Stimmung
in Deutschland.
5. Luther bot dem Reichstage in Worms (1521). Im Jahre 1521 R
hielt Karl V. einen Reichstag zu Worms ab, um hier die Angelegen- °9
heitert Deutschlands zu beraten und zu erledigen. Da sich die Stände
bei der Stimmung des Volkes und bei der Haltung des lutherfreund¬
lichen Ritters Sickin gen, der auf seiner nahen Feste Ebernbnrg zahl¬
reiche Bewaffnete hatte, gegen eine Verurteilung Luthers ohne voraus¬
gegangenes Verhör verwahrten, so wurde der Gebannte unter der
Zusicherung freien Geleites nach Worms geladen. Trotz des Hinweises °T a un0