Metadata: Aus der deutschen Geschichte bis zum Ausgange des Mittelalters (Teil 1)

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dem Schwert umgürtet auf das Dach feines Hauses fetzt, den Blick gen 
Osten gewendet. Nur eines will ich heute erkunden: ob wir den morgenden 
Tag überleben ! Ist dieser Fels mit feiner Kuppe nicht jetzt unser einziges 
t)aus _? Latz mich hinaufsteigen mit dem Kinde nach altväterlichem Brauch! 
Uno indes ich oben die Zukunft beschwöre, gedenke du hier des sühnenden 
Opfertodes, in öem das nordische Volk seinen besten Mann, den König 
Domaldi, hinschlachtete, damit der Hunger von dem Lande genommen werde!" 
,?a rns das Weib verzweiflungsvoll: „So höre du vorher die Ge¬ 
schichte einer andern Opferung, höre, wie es erging, da Jehova dem 
Hbraham besah daß auch er sein bestes Gut, seinen Sohn Isaak, am 
Altare schlachte! 
Aber der Mann hörte nicht. (Er stürmte mit dem Kinde zur Felsen- 
kuppe hinauf und verschwand hinter den Büschen. 
Das Weib wollte ihm nacheilen, die Mutter dem Kinde. Doch als 
m au'* s°om ^euer' öa ward erst offenbar, wie ihr der Hunger das 
Knochen gesogen; sie brach ohnmächtig zusammen. 
Plötzlich weckte das Schreien ihres Kindes die Mutter wieder zum 
leben, und als sie aufhorchte, klang ganz nahe seitwärts aus den Zweigen 
hervor Getöse wie eines Kampfes. Dann ward es totenstill. 
Da raffte die Mutter sich auf; ihre Kraft war wiedergekehrt, und 
sie sprang hinüber ins Dickicht, von wo des Kindes Stimme getönt hatte 
Und vor ihr stand dort ihr Mann, vergeiftert im Gesicht, das Schwert 
gesenkt, und im hellen Mondlichte sah man, wie Blut von dem Schwerte 
troff, und Arm und Gesicht des Mannes war mit Blut bespritzt. Mein 
Kind!" schrie die Mutter, ,,wo ist mein Kind?" 
. Da reichte ihr der Mann das Kind, das er im linken Arme gehalten, 
mit dem schützenden Felle bedeckt. Das Kind war unversehrt; es war wieder 
in Schlaf versunken und lächelte im Schlafe, „wir find beide heil und 
ohne Wunden," sprach der Mann gebrochenen Tones. 
Das Weib forschte, was geschehen sei. Der Mann aber sagte zitternd: 
„vollende, was du vorhin begonnen, die Mär von der Opferung ienes 
Kindes, die Gott dem eigenen Vater befohlen!" 
Und verwunderungsvoll, kaum des Wortes mächtig, erzählte das Weib 
die Opferung Isaaks und schloß mit den Worten der Schrift, die sie 
au inl Koster ZU Fulda vernommen: „Da sprach der (Engel des Herrn 
zu Abraham: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts! 
Denn nun weiß ich, daß du (Bott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes 
nicht verschonet um meinetwegen. Da hub Abraham seine Augen auf 
und sah einen Widder hinter ihm in den Hecken mit seinen hörnern hangen 
und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn an seines Sohnes 
Statt zum Brandopfer." 
.. fk geendet, sprach der Mann: „So hat sich heute erneut nicht 
oie mar von der Opferung König Domaldis, sondern von der Opferung 
Isaaks. Siehe, auch ich wollte unser Kind opfern! Doch nicht gleich 
Abraham, weil es mir Gott geboten, sondern als ein Sühnopfer den 
zürnenden alten Göttern, und auch, daß wir selbst uns sättigten und 
unser Leben retteten mit dem Fleische des eigenen Kindes, wie ich aber 
ms Gebüsch trete, taumelnd und wie mit Irrsinn geschlagen durch den 
eigenen Vorsatz, erschaue ich zwei Wölfe, die an dem Körper eines Rehes 
zerren. Da wird es wieder hell vor meinem Auge; mit dem Schwerte
	        
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