Full text: Deutsches Lesebuch für Volks- und Bürgerschulen

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99. Das Gewitter. 
Urahne, Großmutter, Mutter und Die Großmutter spricht: „Morgen 
Kind ist's Feiertag, 
in dumpfer Stube beisammen sind; Großmutter hat keinen Feiertag: 
es spielet das Kind, die Mutter sich sie kochet das Mahl, sie spinnen das 
schmückt, Kleid, 
Großmutter spinnet, Urahne gebückt das Leben ist Sorg' und viel Arbeit; 
sitzt hinter dem Ofen im Pfühl. — wohl dem, der that, was er sollle 
Wie wehen die Lüfte so schwül! Hört ihr, wie der Donner grollt? 
Das Kind spricht: „Morgen ist's Urahne spricht: „Morgen ist's 
Feiertag, Feiertag, 
da will ich spielen im grünen Hag, am liebsten ich morgen sterben mag; 
da will ich springen durch Thal und ich kann nicht singen und scherzen mehr, 
Höh'n, ich kann nicht sorgen und schaffen 
da will ich pflücken viel Blumen schön; schwer, 
dem Anger dem bin ich hold!“ — was thu' ich noch auf der Wel!“ — 
Hört ihr wie der Donner grollt? Seht ihr, wie der Blitz dort fällt? 
Die Mutter spricht: „Morgen ist's Sie hören's nicht, sie sehen's nicht, 
Feiertag, es flammet die Stube wie lauter Licht. 
da halten wir alle fröhlich Gelag; Urahne, Großmutter, Mutter undKiad 
ich selber, ich rüste mein Feierkleid; vom Schlag mit einander getroffen 
das Leben es hat auch Lust nach Leid, sind. 
dann scheinet die Sonne wie Goldl⸗ Vier Leben endet ein Schlag — 
Hört ihr, wie der Donner grollt? Und morgen ist's Feiertag. 
Gustav Schwab. 
100. Des Rudi Mutter stirbt. 
Hübel-Rudi saß eben bei seinen vier Kindern. Vor drei Monaten 
war ihm seine Frau gestorben, und jetzt lag seine Mutter sterbend auf 
einem Strohsack und sagte zu Rudi: „Suche mir doch diesen Nachmittag 
etwas Laub in meine Decke, ich friere. — „O Mutter, sobald das 
Feuer im Ofen sein wird, will ich gehen,“ sagle Rudi 
Die Mutter: Hast du auch noch Holz Rudi? Ich denke wohl, 
nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kindern weg 
O Rudi, ach, ich bin dir zur Last! 
XRudi;: O Mutter, Mutter! sag doch das nicht; du bist mir nicht 
zur Last. Mein Gott, mein Gott! könnte ich dir iur auch, was du 
nötig hast, geben. — Du dürstest, du hungerft und klagst nicht. Das 
geht mir ans Herz, Mutter! 
Die Muter: Gräme dich nicht, Rudi! Meine Schmerzen sind, 
gottlob! nicht groß, und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird 
dir lohnen, was du mir thust. 
Rudi: O Mutter, noch nie that mir meine Armut so weh als 
jetzt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott, so krank 
und elend leidest du und trägst meinen Mangel. 
Die Mutter: Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht man
	        
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