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herniederschleudern. Eigendünkel, Unbescheidenheit, Überhebung, An⸗
maßung, unwahres Wesen wies er mit entschiedenem Unwillen in die
gebührenden Schranken zurück. So tadelte er einst vor der ganzen
Kompagnie mit sehr scharfen Worten einen jungen Kadetten, der sich
über einen alten gedienten Soldaten in sehr vorlauter und unbescheidener
Weise lustig gemacht hatte.
Strebsamen und talentvollen Jünglingen, die unter drückenden Ver⸗
hältnissen zu leiden hatten, ist Kaiser Friedrich als Kronprinz immer
ein treuer Helfer in der Not gewesen. Manche heimliche Träne hat er
getrocknet, manchen bitteren Seufzer gestilll! Und wie zartfühlend tat
er dies! Niemand durfte davon etwas wissen, damit er nur ja nicht
dem Betroffenen wehe tat; im Gegenteil, meist geschah die Gewährung
einer Wohltat in so freundlicher, oft sogar launiger Weise, daß der
Empfänger nie beschämt oder auch nur unangenehm berührt wurde.
Hiervon ein köstliches Beispiel:
Es war am 5. September des Jahres 1879. Auf dem großen
Exerzierplatze bei Königsberg in Preußen hatte vor Kaiser Wilhelm J.
die Parade des ersten Armeekorps stattgefunden. Die von den Strapazen
ermüdeten Truppen, die vom frühen Morgen auf den Beinen gewesen
waren, bezogen endlich ihre Quartiere. Der Kaiser und der Kronprinz
nahmen in dem alten, ehrwürdigen Schlosse von Königsberg Wohnung.
Dort war zu ihrer Wache außer einem älteren Offizier auch ein junger,
äußerst strebsamer, aber mit irdischen Gütern nicht gesegneter Fahnen—
junker kommandiert worden. Es war spät am Abend. Der Kronprinz
kehrte eben in der Begleitung seines Adjutanten von einer Festlichkeit
zurück, die man ihm zu Ehren veranstaltet hatte. An dem Wachtlokal
vorüberschreitend, winkt er dem außenstehenden Posten zu, die Ehren⸗
bezeugung diesmal zu unterlassen, und tritt an das Fenster, um einen
Blick in das Innere des Wachtlokals zu werfen. Drinnen im Offiziers—
zimmer saß der junge Fahnenjunker vorschriftsmäßig angekleidet am
Tische, das Haupt in die Hand gestützt, die Augen geschlossen. Die
Anstrengungen des Tages waren zu groß gewesen, der Schlaf hatte ihn
übermannt. Leise trat der Kronprinz näher. Auf dem Tische vor dem
jungen Schläfer lag ein angefangener Brief, in dem die Worte standen:
„Liebe Mutter!
Heute nach der Parade habe ich erfahren, daß ich in den nächsten
Tagen zum Offizier befördert werde. Freue Dich mit mir! Doch wie
wird's mit der Beschaffung der Offiziersequipierung? Du hast alles
für mich getan, bist arm, und ich muß mir anderweitigen Rat schaffen.
Schulden — ein herbes Wort! Und wer wird sie bezahlen? ..“
Weiter war der arme Fahnenjunker nicht gekommen. In dem
sorgenvollen Nachgrübeln über die letzte Frage war er, ermüdet von dem