Object: Geschichte des deutschen Volkes

366 Berlin und Breslau. Des Königs Aufruf und des Volkes Antwort. § 643—645. 
feit, unseren Wohlstand. Keinen anderen Ausweg giebt es, als einen ehren- 
vollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet Ihr 
getrost entgegengehen, um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der 
Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir dürfen mit Zuversicht vertrauen. 
Oott und unser fester Wille werden unserer gerechten Sache den Sieg ver¬ 
leihen, mit ihm einen sicheren, glorreichen Frieden und die Wiederkehr einer 
glücklichen Zeit!" 
§ 644, An demselben Tage verkündigte der König seinem Volke die Er- 
richtung der Landwehr und des Landsturms (§ 599) nun für das gesammte 
Preußen. Als Ehrenzeichen für die Tapfern dieses heiligen Krieges ward vom 
Könige am 10. März, dem Geburtstage der verewigten Königin Luise, der 
Orden des „eisernen Kreuzes" gestiftet. — Ein von einem Deutschen ver- 
faßter Aufruf Kutusows, in Kalisch am 25. März 1813 erlassen, schloß sich der 
königlichen Ansprache an. Der russische Feldherr, im Begriff die deutsche Grenze 
zu überschreiten, redete darin das gesammte deutsche Volk an. Die Russen, hieß 
es, kommen als Befreier, um die Uebermacht eines ehrgeizigen Eroberers zu 
brechen, damit fortan Völker und Fürsten frei in ihren Grenzen und nach ihren 
eigenen Gesetzen leben können; alle deutschen Männer werden aufgeboten, sich 
der heiligen Sache des Vaterlandes und der Menschheit anzuschließen; deutsche 
Fürsten, welche noch ferner der Fahne des Landesfeindes folgen sollten, mit 
Verlust ihrer Herrschaft bedroht; freie Verfassungen als Frucht der zu bestehen¬ 
den Kämpfe verheißen. 
Mit herzlichen Worten hatte sich — zum ersten Mal in der deutschen 
Geschichte — ein König an sein Volk gewandt, und, indem er es zur Mit- 
Wirkung an seinem Werke aufforderte, es mündig gesprochen. In unvergleichlich 
herrlicher Weise antwortete das preußische Volk diesem Vertrauen. Wie Alles 
zu den Waffen eilte, sahen wir schon seit dem 3. Februar. Jetzt wurden grö- 
ßere Anstrengungen von dem Volke verlangt; das Königreich Preußen, damals 
an Einwohnern nicht mehr als 5 Millionen zählend, stellte bis zum Sommer 
1813 ein Heer von 271,000 Streitern, also von 18 Seelen einen Mann 
zu den Waffen. Gleiches hat nie ein Volk gethan. 
§ 645. Vier Heere sammelten sich: unter Pvrk in Ostpreußen, unter 
Bülow in Westpreußen, zwei andere in Pommern und Schlesien. Die Fran- 
zosen hielten noch die Festungen, namentlich Danzig, besetzt; an 20,000 Mann 
standen noch in der Hauptstadt. Aber Jork und Bülow rückten bereits in Ver- 
bindung mit dem russischen General Wittgenstein auf Berlin. Schon am 
20. Februar 1813 streiften die ersten 'Kosaken bis in die Straßen hinein. 
Am 4. März verließen dann die Franzosen freiwillig die immer drohender wer- 
dende Stadt, und zogen sich auf Magdeburg zurück. An demselben Tage rückte 
die Vorhut Wittgensteins ein. Am 17. März hielt dann Aork, der nun durch 
ein Kriegsgericht vollständig gerechtfertigt und vom König in alle seine Würden 
wieder eingesetzt war, unter unermeßlichem Jubel der Bevölkerung seinen Ein- 
zug mit 18,000 Mann preußischer, erprobter Kerntruppen. 
9Zoch fehlte es an Bekleidung, Verpflegung, Bewaffnung. Aber es begann 
jetzt ein rührender Wetteifer in freiwilligen Gaben. Auch der Aermste brachte 
fein Scherflein. Wo in dem ausgesogenen Lande Geld fehlte, griff man zu 
anderen Mitteln. Eheleute und Verlobte brachten die goldenen Trauringe und 
erhielten eiserne dafür zurück: „Gold gab ich für Eisen" lautete die schöne In- 
schrift. Jenes arme Fräulein (Ferdinand« von Schmettern) brachte den einzigen 
Schmuck, den sie besaß: ihr schönes Haupthaar. Das Weib ließ den Gatten, 
die Verlobte den Bräutigam, die Mutter den Sohn willig ziehen: Schmach
	        
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