Full text: [Teil 3 = Klasse 7 [= 3. Jahrgangsstufe], [Schülerband]] (Teil 3 = Klasse 7 [= 3. Jahrgangsstufe], [Schülerband])

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Vogel empor in die Lüfte. Dann, nachdem er sich wieder zu Boden 
gesenkt, belehrte er auch seinen jungen Sohn Ikarus, für den ein kleineres 
Flügelpaar gefertigt und bereitlag. „Flieg immer, lieber Sohn,“ sprach 
er, „auf der Mittelstraße, damit nicht, wenn du den Flug zu sehr nach 
unten senkst, die Fittiche ans Meerwasser streifen und, von Feuchtigkeit 
beschwert, dich in die Tiefe der Wogen hinabziehen, oder, wenn du dich 
zu hoch in die Luftregion versteigst, dein Gefieder den Sonnenstrahlen 
zu nahe komme und plötzlich Feuer fange! Zwischen Wasser und Sonne 
flieg dahin, immer nur meinem Pfade durch die Luft folgend!“ Unter 
solchen Ermahnungen knüpfte Dädalus auch dem Sohne das Flügelpaar 
an die Schultern; doch zitterte die Hand des Greises, während er es 
tat, und eine bange Träne tropfte ihm auf die Hand. Dann umarmte 
er den Knaben und gab ihm einen Kuß, der auch sein letzter sein sollte. 
Jetzt erhoben sich beide mit ihren Flügeln. Der Vater slog voraus, 
sorgenvoll wie ein Vogel, der seine zarte Brut zum erstenmal aus 
dem Neste in die Luft führt. Doch schwang er besonnen und kunst— 
voll das Gefieder, damit der Sohn es ihm nachtun lernte, und blickte 
von Zeit zu Zeit rückwärts, um zu sehen, wie es diesem gelänge. 
Anfangs ging es ganz gut. Bald waren ihnen Samos, bald Delos 
und Paros, die Eilande, vorübergeflogen. Noch mehrere Küsten sahen 
sie schwinden, als der Knabe Jlarus, durch den glücklichen Flug zuver⸗ 
sichtlich gemacht, seinen väterlichen Führer verließ und in verwegenem 
übermute mit seinem Flügelpaare einer höheren Zone zusteuerte. Aber 
die gedrohte Strafe blieb nicht aus. Die Nachbarschaft der Sonne er— 
weichte mit allzu kräftigen Strahlen das Wachs, das die Fittiche zu— 
sammenhielt, und ehe es Ikarus nur bemerkte, waren die Flügel auf— 
gelöst und zu beiden Seiten den Schultern entsunken. Noch ruderte der 
ünglückliche Knabe und schwang seine nackten Arme; aber er bekam keine 
Luft zu fassen, und plötzlich stürzte er in die Tiefe. Er hatte den Namen 
seines Vaters als Hilferuf auf den Lippen; doch ehe er ihn aussprechen 
konnte, hatte ihn die blaue Meeresflut verschlungen. Das alles war so 
schnell geschehen, daß Dädalus, hinter sich nach seinem Sohne blickend, 
nichts mehr von ihm gewahr wurde. „Ikarus, Jkarus!“ rief er trostlos 
durch den leeren Luftraum. „Wo, in welchem Bezirke der Luft soll ich 
dich suchen?“ Endlich sandte er die ängstlich forschenden Blicke nach 
der Tiefe. Da sah er im Wasser die Federn schwimmen. Nun senkte 
er seinen Flug, legte die Flügel ab und ging ohne Trost am Ufer hin 
und her, wo bald die Meereswellen den Leichnam seines unglücklichen 
Kindes ans Gestade spülten. Jetzt war der ermordete Talos gerächt. 
Der verzweifelte Vater sorgte für das Begräbnis des Sohnes. Es war 
eine Insel, wo er sich niedergelassen, und wo der Leichnam ans Ufer 
geschwemmt worden war. Zum ewigen Gedächtnisse an das jammervolle 
Ereignis erhielt das Eiland den Namen Jkaria.
	        
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