Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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Eigenliebe heiht mich es glauben. Aber sollte gleichwohbl nicht 
noch Verschiedenes an mir zu bessern sein?“ — „Und was 
meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Redel ich nehme 
Lehre an,“ sprach der gute Gott und lächelte. — „Vielleicht, 
sprach das Pferd weiter, „würde ich flüchtiger sein, wenn meine 
Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals 
würde mich nicht entstellen; eine breitere Brust würde meine 
Stãrke vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, 
deinen Liebling, den Menschen, zu tragen, so könnte mir ja wobl 
der Sattel anerschaffen sein, den mir der wobltätige Reiter 
auflegt.·“ — „Gut,“ versetzte Zeus; „gedulde diech einen 
Augenblickl Zeus, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der 
Schöpfung. Da quoll Leben in den Staub, da verband sich 
organisierter Stoft; und plötzlich stand vor dem Throne — das 
häßliche Kamel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor 
entsetzendem Abscheu. „Hier sind höhere und schmächtigere 
Beine,“ sprach Zeus; „hier ist ein langer Schwanenhals; hier 
ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene Sattel. Willst 
du, Pferd, dab ich dich so umbilden soll?“ Das Pferd zitterte 
noch. „Geh!“ fuhr Zeus fort; „dieses Mal sei belehrt, ohne 
bestrafi zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und 
wann reuend zu erinnern, so daure du fort, neues Geschöpfl 
— TZeus wart einen erhaltenden Blick auf das Kamel — „und 
das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudernl“ 
Gotthold Ephraim Lessing. 
14. Treue FMeundschast. 
Einst trafen auf ihrer Wanderschaft zwei Handwerksburschen 
zusammen; der eine war ein Schmied, der andere ein Schneider. 
Sie reisten mehrere Wochen miteinander, bis sie endlich nach Polen 
kamen. Während dieser Zeit hatten sie sich genauer kennen gelernt, 
einander ihr Herkommen und ihre Lebensgeschichte erzählt und 
endlich Brüderschaft miteinander gemacht. Sie teilten gewöhnlich, 
was sie von Lebensmitteln hatten, unter sich und halfen sich gegen⸗ 
seitig in allem brüderlich aus. Es fügte sich, daß der Schmied in 
Polen krank wurde und in einem fremden Dorfe unter fremden 
Leuten, die nicht einmal Deutsch verstanden, liegen bleiben mußte. 
Hier wäre er übel daran gewesen, wenn er seinen Kameraden nicht 
bei sich gehabt hätte; denn er hatte kein Geld, und sein Felleisen 
war mit allem, was sich darin befand, kaum einige Taler wert.
	        
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