— e1—
Dieses wurde nun freilich verkauft; aber das daraus gelöste Geld
war bald verzehrt, und noch sah man keine Besserung. Nun bewies
sich der Schneidergesell recht brüderlich gegen ihn und verließ ihn
nicht in seiner Not. „Hier in diesem fremden Lande bin ich ihm ja der
Nächste!“ dachte er bei sich selbst, und das war er auch. Er verkaufte
daher von seinen Sachen ein Stück nach dem andern, bis ihm nichts
mehr übrig blieb; aber er hatte dafür die Freude, seinen Kameraden
durch seine Pflege wiederhergestellt zu sehen. Dieser konnte ihm
die Treue, die er an ihm bewiesen hatte, nicht genug danken und
weinte manchmal an seinem Halse aus Bekümmernis, daß er ihm
seine verkauften Kleidungsstücke nicht wieder ersetzen könne. Aber
der Schneider tröstete ihn darüber und sagte, Gott werde es ihn
wohl nicht vermissen lassen; ein Mensch sei dem andern einen solchen
Liebesdienst wohl schuldig, und besonders in der Fremde müsse keiner
den andern verlassen. Sie reisten darauf noch miteinander bis nach
Warschau, der Hauptstadt in Polen, wo der arme Schmied Arbeit
bekam, der Schneider aber nicht. Beide Freunde mußten sich also hier
trennen. Als der Schneider wieder fortwanderte, gab ihm der Schmied
eine Stunde weit das Geleite, und unter Tränen schieden sie, als wenn
sie leibliche Brüder gewesen wären, voneinander, ohne eben hoffen zu
können, daß sie sich in dieser Welt jemals wiedersehen würden.
Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb und
bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein
Glück zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und
geriet in Frankfurt am Main unter die Werben, welche ihn über—
redeten, kaiserliche Dienste zu nehmen, und ihn als Rekruten nach
Wien führten. Da er aber schwächlich und fast beständig krank war,
ließ man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte.
Fast nackt und bloß kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit
zu suchen; allein da ihn in seinem eleuden Anzuge niemand zur
Arbeit nehmen wollte, so mußte er endlich betteln. Eines Abends
spät sprach er in einem Dorfe (es war gerade an einem Sonnabend)
bei einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte den
Meister, welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete, daß die
Stimme des Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die
Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht und —
„je Bruder! bist du's, oder bist du's nicht?“ riefen beide fast zu
gleicher Zeit; und in der Tat waren es die Kameraden, die seit der
Trennung in Warschau nichts weiter voneinander gehört hatten.
Der Schmied, welcher unterdessen in dieser Schmiede in Arbeit